Filmkritik zu Mutter

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  • Bewertung

    Acht Seelen in Anke Engelkes Brust

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Carolin Schmitz‘ Mischform aus Dokumentation und Spielfilm handelt von den Freuden und Ernüchterungen des Mutterseins, von Kinderwünschen und unerwünschten Schwangerschaften, von Affären und Entfremdung. Anke Engelke verkörpert dabei acht verschiedene Frauen, die von ihren Erfahrungen als Mutter erzählen.

    Die Protagonistin durchlebt einen normalen Tagesablauf. Wir sehen sie zu Beginn in der Badewanne, später beim Anziehen, im Auto, beim Essen in der Kantine, oder auf der Bühne – oft spricht sie direkt in die Kamera. Zu hören ist dabei jedoch nicht Anke Engelke, sondern aus dem Off kommen die Stimmen der Frauen, die Regisseurin Carolin Schmitz vor Beginn der Dreharbeiten interviewt hat.

    Dabei spiegelt Engelke in ihrer Darstellung nicht die wechselnden Erzählperspektiven wider, sie scheint vielmehr den ganzen Film über dieselbe Person zu spielen. Ihre Mimik bleibt von einer Szene zur nächsten unverändert, Gestik gibt oft es nur wenig. So tut sich ein Bruch auf – was man sieht und was man hört passen nicht notwendigerweise zusammen. Anfangs könnte es sich noch um eine konventionelle Spielfilmszene handeln, in der die Protagonistin zu jemandem außerhalb des Bildes spricht, später wird der verfremdende Effekt offensichtlich. So befinden stehen Bild- und Tonebene in ständiger Spannung, konvergieren und entfernen sich wieder voneinander.

    Anke Engelke vollbringt in ihrer Darstellung der erzählenden Frau zweifellos eine außerordentliche schauspielerische Leistung, jedes Wort und jede Pause passen in dieser Art umgekehrten Synchronisierung genau aufeinander. Sie verinnerlicht den Duktus der Sprecherinnen so sehr, dass es zunächst eine Weile dauert, um zu erkennen, dass es sich nicht um ihre eigene Stimme handelt.

    Die Frage, die sich jedoch stellt, ist, was diese eigenwillige Konzeption für den Film bewirkt. Der formale Kniff ist zwar interessant, trägt jedoch weder wirklich etwas zur Rezeption des Gesprochenen bei, noch gelangt der Film dadurch zu einer neuen Aussage oder einer besonderen ästhetischen Wirkung. Insofern ist die unkonventionelle Idee bei einer Laufzeit von knapp eineinhalb Stunden bald durchgespielt und verliert den Neuheitseffekt.

    Wenn „Mutter“ dabei trotzdem relativ interessant und kurzweilig bleibt, liegt das in erster Linie an den Erzählungen. Das Interviewmaterial könnte aufgrund der verschiedenen Perspektiven und seiner authentischen und intimen Natur auch für sich stehen und hätte eine derartige filmische Umsetzung nicht unbedingt nötig. So ist „Mutter“ zwar ein interessantes formales Experiment und gleichzeitig ein wertvoller und spannender Einblick in die Innenwelt verschiedener Frauen, als Gesamtwerk ist der Film aber nicht ganz überzeugend.
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    (David Schrittwieser)
    13.11.2022
    08:36 Uhr