Filmkritik zu Camouflage

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Befleckte Vergangenheit

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Der Film beginnt mit einem Mann, der wie jeden Tag entlang einer stillen Waldkulisse seine morgendliche Laufrunde absolviert. Eigentlich ganz banal, würde nicht der Wald ein furchtbares Geheimnis bergen.

    Vor über 40 Jahren hatte die argentinische Militärdiktatur auf dem Gelände des Campo de Mayo ein geheimes Folterlager für politische Gegner errichtet. Menschen wurden einfach verschleppt, ihre Angehörigen über ihr Schicksal im Unklaren gelassen. Einer davon ist der Schriftsteller Felix Bruzzone, dessen Mutter damals verschwand. Erst nachdem er sich in der Nähe angesiedelt hat, wurde ihm bewusst was wirklich mit ihr geschehen war. Regisseur Jonathan Perel teilte einst dasselbe Leid und so begeben sie sich gemeinsam auf die Suche nach Antworten.

    Wie ein Tarngewand hat sich die wuchernde Pflanzenwelt heute über die Anlage gelegt, lediglich ein paar Zäune und alte Ruinen lassen noch darauf schließen, wie es hier früher ausgesehen hat. In einer herausragenden Sequenz lässt der Filmemacher aber seinen Protagonisten den Schleier durchbrechen, als er ihn mithilfe einer VR-Brille in den Fußstapfen seiner vermissten Mutter wandeln lässt. Ein wahrhaft unangenehmes Bild.

    Perel weiß jedoch ganz genau, dass er dem wahren Schrecken nie gerecht werden kann, der hier geherrscht hat, also vermittelt er ihn uns indirekt, durch Gespräche mit Ortsansässigen, Hinterbliebenen und sogar einer Ex-Insassin, die von dem Alltag dort erzählt. Sie sind es, die das Vermächtnis der Anlage nie vergessen haben. Nicht so all jene, die dort nun ihren eigenen Vorteil suchen. Immobilienhaie und Parkbetreiber können den historischen Hintergrund gar nicht schnell genug ausblenden. Auch sie bittet er vor die Kamera. Dass er sich teilweise ein bisschen in all den Interviews verliert, birgt die Gefahr schnell langweilig zu werden, eine bedrohliche Grundstimmung bleibt aber immer bestehen.

    Dazu tragen auch all die Soldaten bei, die dort immer noch patrouillieren und denen die Filmcrew über den Weg läuft. Zwar sei noch nie etwas vorgefallen, trotzdem lässt einen das Gefühl nicht los, dass die argentinische Regierung durchaus daran interessiert ist, diesen Teil der Geschichte von der Natur verschlingen zu lassen. Das Militär begleitet auch den dramatischen Höhepunkt des Films, als Bruzzone an einer Art Hindernislauf über das Gelände teilnimmt inklusive Schussübungen. Hier nimmt er dann wörtlich Fahrt auf, was aber gefühlt ein wenig zu spät kommt.

    Auf den ersten Blick ist „Camuflaje“ nur ein simpler Lokalaugenschein doch sollte man sich davon nicht täuschen lassen, dazwischen lauert eine Geschichte, die es wert ist, berichtet zu werden.
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    (Markus Toth)
    15.11.2022
    21:27 Uhr