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    Im Westen (fast) nichts Neues

    Exklusiv für Uncut
    Erich Maria Remarque hat in seinem berühmten Roman "Im Westen nichts Neues" aus dem Jahr 1928 eine ganze Reihe persönlicher Kriegserlebnisse aufgearbeitet. Seine Botschaft darin ist ganz klar: Krieg ist etwas Schreckliches, er ist nie eine tatsächliche zu rechtfertigende Lösung für politische Spannungen. Er ist verantwortlich für unvorstellbar großes Leid - sowohl unter der Zivilbevölkerung als auch unter den Soldaten. Er selbst war gegen seinen Willen zum Kriegsdienst eingezogen worden und erlebte das Finale des 1. Weltkrieges an der Front in Flandern. Seine Hauptfigur im Roman Paul Bäumer ist aber keine rein autobiografische Figur, denn dieser meldete sich - wie viele tausende andere junge Männer damals - freiwillig zum Kriegsdienst. Eine ganze Generation von Jungen sah in dem Kriegsdienst damals die einmalige Chance, etwas richtig Großes zu vollbringen, aus der engen und strengen Erziehung im Elternhaus zu entfliehen und zu einem "echten Mann" zu werden (was immer das, schon damals, heißen mag). Spätestens an der Front werden alle Kriegsfans zu Kriegsverlierern: körperliche Schäden, psychische Wunden, die nie mehr heilen und die existenzielle Angst um das eigene Leben (auch angesichts der ernüchternd schlechten Organisation innerhalb der Armee) bestimmen den Alltag. Viele Freunde sterben vor den eigenen Augen einen schrecklichen Tod. Zugleich beschreibt E.M. Remarque in seinem Roman aber auch die wie durch ein Wunder plötzlich aufkeimende Kameradschaft unter den Männern, die zu übermenschlichen Leistungen fähig macht und die letzten Endes der Grund ist, warum es jene, die den Krieg überlebt haben, auch schafften, dabei nicht völlig zu zerbrechen - Gelegenheit und Gründe dafür gab es genug.

    In der Neuverfilmung unter der Regie von Edward Berger wird die rund 100 Jahre alte Geschichte wieder zum Leben erweckt. Bergers Erzählung der Ereignisse von damals dreht sich im Kern um die Ereignisse an der Westfront, erweitert um die Verhandlungen zum Waffenstillstand bis zur Kapitulation in jenem Eisenbahnwaggon in Compiègne, der es sogar in eine Ballade von Reinhard Mey geschafft hat. Diese Rekonstruktion und Schilderung der Ereignisse rund um den längst handlungsunfähigen Staatsapparat, dekadente Offiziere, denen im Frieden die "Arbeit" abhanden kommt und die Demütigung des Deutschen Kaiserreichs durch die Franzosen gelingt ihm beeindruckend gut. Set-Design, Kostüme und Ausstattung sind großartig.

    Die bald unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft der Soldaten und ihre Kameradschaft trägt aber weniger schmeichelhafte Eigenschaften: düster, häßlich und brutal, verkümmert. Das Licht verschwindet aus der Natur, wenn der Krieg wieder los geht, selbst das Blut der Gefallenen wird dunkelgrau. Das Sterben und elendigliche Verrecken wird in Großaufnahme und minutenlang ausführlich gezeigt. Wer sich nach diesem Film "Braveheart" ansieht, wundert sich wohl, was damals alle hatten, denen so schlecht wurde, dass sie den Saal verlassen mussten. Kurze Momente der Ausgelassenheit inmitten des Wahnsinns blitzen auf, schaffen aber keine wirkliche Erleichterung zu verschaffen. Der Schrecken sitzt tief.

    Wichtig an der mehrfach Oscar-nominierten Netflix-Produktion ist vor allem die Erinnerung an das zentrale Anliegen von damals, das heute aktueller denn je ist: Krieg ist furchtbar und er ist es niemals wert, dafür zu sterben. Wohl schart sich deshalb eine ganze Reihe von Filmpreisen und Nominierungen rund um den Film - filmisch bietet er letzten Endes (fast) nichts Neues für jene, die zuletzt auch "Dünkirchen" oder "1917" gesehen haben. Lobend erwähnt seien aber Felix Kammerer als "Paul" sowie Albrecht Schuch als sein Kumpel "Kat" und natürlich Daniel Brühl als Matthias Erzberger.
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    (Markus Löhnert )
    25.02.2023
    15:44 Uhr
    http://worteverbinden.at
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