Filmkritik zu Mickey 17

Bilder: Warner Bros Fotos: Warner Bros
  • Bewertung

    Beim achtzehnten Klon ist alles anders

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2025
    Welcher ist der nächste Schritt in der Karriere eines Künstlers, nachdem das letzte Werk vielerorts als dessen Opus magnum hochgehalten wurde? Bong Joon-Ho, der mit seinem bahnbrechenden Klassenkampf-Thriller „Parasite“ weltweit Furore auslöste, hatte sechs Jahre Zeit, sich einen Plan zurechtzulegen. Das Folgeprojekt des Südkoreaners nennt sich nun also „Mickey 17“, eine Sci-Fi-Romanverfilmung mit aufgeblasenem Blockbuster-Budget und hochkarätiger Hollywood-Besetzung. Ob das die richtige Wahl war? Nach einem Film, der alle Rekorde zu brechen schien, kann man an den hohen Erwartungen ja eigentlich nur scheitern, oder? Gewiss nicht, wenn man die Genre-Flexibilität und Kreativität Bongs besitzt. Obwohl er der englischen Sprache nicht mächtig ist, seine Dolmetscherin ist quasi schon Fixinventar jedes öffentlichen Auftritts, ist es für ihn nicht der erste Trip ins amerikanische Bombastkino. Die Hauptthemen seiner beiden englischsprachigen Projekte verwebt sein neuer Film in ein großes Ganzes: das artenfreundliche Ökobewusstsein von „Okja“ trifft auf die satirisch überhöhte Postapokalypse von „Snowpiercer“. So unüberschaubar die Parallelen sind, auch Vergleiche mit den Orwell’schen Dystopien aus Terry Gilliams‘ „Brazil“ und „Twelve Monkeys“ liegen nahe, so ist „Mickey 17“ trotzdem sein ganz eigenes Ding.

    Pattinson mal Zwei

    Der Kapitalismus frisst seine Kinder. In einer nicht all zu weit entfernten Zukunft, im Jahr 2054, steht die Welt an der Kippe zum Untergang. Wer es in diesen Krisenzeiten noch wagt, sich in Schulden zu stürzen, muss mit besonderen Konsequenzen rechnen. So auch der etwas tumbe Amerikaner Mickey Barnes (Robert Pattinson), dessen geplantes Macaron-Imperium (ja, die französische Süßspeise) sich als Schnapsidee erwiesen hat. Um den Schuldenberg abzubezahlen, wird er Teil eines fragwürdigen Kolonialisierungsprojekts. Auf dem Eisplaneten Niflheim möchte der gescheiterte Senator Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) eine neue Zivilisation starten. Mickeys Rolle in diesem Vorhaben ist die eines Versuchskaninchens, als sogenannter „Expendable“, der die tödlichen Gefahren des fremden Planeten ausloten soll. Sterben ist sein täglich Brot, egal wie oft er den vielen Fallen und Experimenten erliegt, am nächsten Tag wird er unversehrt und wie frisch geboren aus dem 3D-Drucker hinausgespuckt. Stirbt ein Double, wird ein neues kreiert. Existieren zwei Versionen deiner selbst zur gleichen Zeit, gilt das als Gesetzesverstoß. Die achtzehnte Version Mickeys staunt nicht schlecht als sein für tot gehaltenes siebzehntes Ich ihm auf einmal lebend gegenübersteht. Eine Begegnung, die für ihn tödlich hätte enden müssen, hat der Klon mit just ein paar Kratzern überlebt. Sind die Creeper, eine wurmartige, auf Niflheim beheimatete Alien-Rasse vielleicht doch nicht die Bedrohung, für die sie gehalten werden?

    Maximalistische Sci-Fi-Satire mit antikapitalistischer Haltung

    Einigen nicht-westlichen Filmschaffenden, das sollte kein Geheimnis sein, ist der Sprung nach Amerika nicht geglückt. Die eigene filmische Sprache geht im Englischen des Öfteren verloren. Lost in translation. Dass Bong Joon-Ho seinen ganz eigenen Erzähl- und Inszenierungssensibilitäten nicht nur treu geblieben ist, sondern diese sogar auf Blockbuster-Größe maximieren durfte, ist eine Freude mitanzusehen. „Mickey 17“ ist sichtbar teurer als alles, an dem der Regisseur bis Dato gearbeitet hat, verliert aber nichts von kauzigem, eigentümlichen Charme, der sich durch seine Arbeit zieht. Nicht visuell, nicht erzählerisch. Seien es die hyperfuturistischen Maschinerien, das Herz für Außenseiter und bedrohte Lebewesen, lautstarke Kritik an einer Gesellschaft, in der kultähnliche Machthaber ihr Volk terrorisieren, und die Allegorie der kapitalistischen Hölle, die über allen Missständen schwebt. Auf den ersten Blick scheint die hier gezeigte Welt völlig überzogen, eigentlich fernab jeglicher Realität. Bei genauerer Überlegung dann aber doch näher, als einem lieb wäre. Wo dystopische Zustände herrschen, da gehört dringend politischer Widerstand daher. Der äußert sich in Form der furchtlosen Nasha, mit beseelter Imbrunst von Naomi Ackie verkörpert. Pattinsons unterhaltsame Doppeldarbietung ist wieder bester Beweis für die Wandelbarkeit, die der Charakterschauspieler eindrucksvoll unter Beweis stellen konnte, seitdem er sich von seinem „Twilight“-Stigma losgelöst hat. Mark Ruffalo legt seinen Kenneth Marshall als überdeutlich trumpeske Karikatur an. Stets an seiner Seite: Toni Collette als Girlboss-Gattin, die vorgibt sich mit Frauen zu solidarisieren - obwohl ihr das Gemeinwohl anderer kaum egaler sein könnte. Satire muss nicht subtil sein, um sein Ziel zu treffen. Lustig ist der Film so oder so in seiner kompletten Überspitzung, sogleich diese, so ehrlich muss man sein, manchen Zuschauer überfordern wird. Im Gegensatz zu „Parasite“ ist Bongs Folgefilm, trotz weit höheren Budgets, garantiert keiner, der das Mainstream- und Kunstpublikum gleichermaßen abholen wird. Der alberne Grundton möchte nicht jeden gefallen und das ist auch völlig in Ordnung. „Mickey 17“ hat viele Ecken und Kanten, ist definitiv kein aalglattes, auf filmische Perfektion getrimmtes Werk, gerade aber deshalb so menschlich. Und dass im Zeitalter des algorithmengesteuerten Blockbusters ein maximalistisches Sci-Fi-Epos so bunt, aufrichtig und eigensinnig wie dieses überhaupt den Weg auf die große Leinwand findet, grenzt an ein Wunder. Im Gegensatz zu seiner Hauptfigur wird es diesen Film nämlich garantiert kein zweites Mal geben.
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    (Christian Pogatetz)
    17.02.2025
    08:17 Uhr