Filmkritik zu The Northman

Bilder: Universal Pictures International Fotos: Universal Pictures International
  • Bewertung

    Nordische Rachefantasien

    Exklusiv für Uncut
    Robert Eggers hat sich als einer der neuen heißen Stimmen im gegenwärtigen Genrekino etabliert. In „The Witch“ (2016) begleitete er eine puritanische Familie, die im 17. Jahrhundert von ihrer Glaubensgemeinde verstoßen und von dämonischen Kräften heimgesucht wird. In „The Lighthouse“ (2019) trieb er Willem Dafoe und Robert Pattinson als Leuchtturmwärter im abgelegenen Maine des 19. Jahrhunderts in den blanken Wahnsinn. Bemerkenswert in Eggers' Schaffen ist die historische Genauigkeit, mit der er das atmosphärische Flair seiner Settings einfängt. Mit „The Northman“, seinem bis Dato größten und teuersten Projekt, begibt sich der erst 38-jährige US-Amerikaner ins männerdominierte Zeitalter der Wikinger.

    Der Plot des Films bedient sich einem Mischmasch aus altdänischen Sagen des Historikers Saxo Grammaticus, dessen Werk einst den Grundstein für William Shakespeares „Hamlet“ legte. Im Zentrum der Geschichte steht Amleth (Alexander Skarsgård in einer physisch wie psychisch fordernden Rolle), dem als Sohn von König Aurvandill (Ethan Hawke) eigentlich die rechtmäßige Thronfolge zugestanden hätte. Doch im Jahre 895 wurde sein Vater vom eigenen Bruder Fjölnir (Claes Blang: etwas zu theatralisch) in einen Hinterhalt getrieben und von dessen Schergen kaltblütig ermordet. Amleth konnte dem neuen Herrscher in jungen Jahren früh genug entfliehen, seine Mutter Gudrun (Nicole Kidman) wurde hingegen von Fjölnir gefangen genommen und heiratet später gar den Peiniger ihres Ex-Gatten. Infolgedessen wird der junge Prinz von einer Gruppe Wikinger aufgefunden, die ihn zum kräftig gebauten Krieger großziehen. Jahre später schleicht sich der mittlerweile erwachsene Amleth auf ein Sklavenboot, das auf die isländische Farm des nun selbst im Exil befindlichen Fjölnir zusteuert. Der langerhoffte Rachefeldzug scheint in greifbare Nähe zu rücken. Kraft und Hoffnung schöpft der hasserfüllte Wikinger aus dem Verhältnis mit der slawischen Sklavin Olga (Anya Taylor-Joy: großartig), die behauptet, jenseitige Kräfte zu besitzen.

    Mit seiner dritten Spielfilmarbeit wagt sich Robert Eggers in deutlich bombastischere Gefilde als zuvor. Das Produktionsbudget von knapp 90 Millionen US-Dollar überschreitet das seiner vorangegangen Projekte nahezu um das Zehnfache. Trotz der dadurch größeren Gefahr von Studiointerferenz gelingt Eggers das seltene Kunststück, dem eigenen Stil treu zu bleiben. Die phantasmagorischen Bildwelten des genreaffinen Regisseurs wurden mühelos auf das Blockbusterniveau seiner neuen Produktion übertragen. Die surreal anmutenden Kamerafahrten von Jarin Blaschke laden erneut zum Staunen einen und kreieren einen atmosphärischen Sog, der einen kaum loslässt. Hinzu kommt ein historisch detailgetreues Szenen- und Kostümbild sowie der unter die Haut gehende Score von Robin Carolan und Sebastian Gainsborough. Das stimmige Gesamtbild des Films ist in erster Linie der atemberaubenden technischen Komponente geschuldet, Eggers beweist sich abermals als exzellenter visueller Erzähler.

    Die eigentliche Rachegeschichte ist kaum der Rede wert und lebt gerade von ihrer Simplizität. Nun könnte manch einer meinen, dass das in muskelbetonter Protzigkeit getränkte Bild von Männlichkeit, das einem hier präsentiert wird, mehr hinterfragt werden hätte können. Mehr direkte Kritik an den anachronistischen Sitten und misogynen Verhaltensweisen der Wikinger wäre aber wahrscheinlich ein Todesstoß für die versuchte historische Akkuratesse des Gezeigten gewesen. Glorifiziert wird hier jedenfalls gewiss nichts, so manch pathetisch heroischer Moment wurde gar um schwarzhumorige Töne bereichert. Die Lauflänge von knapp 140 Minuten wird jedoch in einigen Momenten spürbar. Ab und an verläuft sich der Film narrativ wie auch ästhetisch in Repetitionen: hier und da gibt es eine Zukunftsvision oder Familienintrige zu viel. Spätestens wenn das Vergeltungsdrama aber in einer virtuos choreografierten Schlacht auf einem aktiven Vulkan gipfelt, darf dann so manch irritierende Länge verziehen werden.

    Robert Eggers erreicht mit „The Northman“ nicht die Höhen seines meisterhaften Vorgängerwerks, doch lässt er Zuschauer*innen einmal mehr in einem audiovisuellen Rausch der Sonderklasse zurück. Das Wikinger-Epos ist rohes, körperbetontes und blutgetränktes Blockbuster-Kino, das man in dieser Größenordnung und martialischen Kraft kaum mehr zu Gesicht bekommt.
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    (Christian Pogatetz)
    22.04.2022
    14:38 Uhr