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    Aus dem Leben einer Boxerin

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Im Westen wahrscheinlich vor allem bekannt durch die japanische Netflix-Serienadaption „Ju-On: Origins“ (2020), brachte Regisseur Shô Miyake in diesem Jahr einen Film auf den Markt, der wiederum eine ganz andere Richtung einschlägt: „Small, Slow But Steady“, welcher Anfang des Jahres auf der Berlinale in der Schiene Encounters lief, basiert auf der Autobiografie „Makenaide!“ von Profiboxerin Keiko Ogasawara und setzt sich mit dem Leben einer gehörlosen Boxerin der Profiliga auseinander. Auch die Pandemie wird darin behandelt, allerdings auf so subtile Art und Weise, dass sich der Film glücklicherweise nicht in eine Reihe filmischer Auseinandersetzungen mit dem Thema einordnet, die immer wieder das gleiche Thema mitsamt der gleichen Problematiken wiederkauen.

    Die Profiboxerin Keiko (Yukino Kishii) absolviert ihr Training im ältesten Box-Club Tokios. Da sie gehörlos ist, konzentriert sie sich dabei verstärkt auf ihre anderen Sinne und hat mit ihren Trainern Makoto (Masaki Miura) und Shintaro (Shinichiro Matsuura) ein System entwickelt, welches vor allem auf visuelle Signale basiert. Als jedoch der Präsident des Clubs (Tomokazu Miura), der auch Keikos Mentor ist, gesundheitliche Probleme entwickelt und immer mehr Mitglieder aufgrund der andauernden Covid-19-Pandemie ihre Mitgliedschaft kündigen, beginnt für Keiko der Weg in eine unsichere Zukunft.

    Wenn man an Boxerfilme denkt, kommen einem schnell Filme wie „Rocky“, „Million Dollar Baby“ oder „The Fighter“ in den Sinn, die harte Trainingseinheiten in Form von Biopics oder dramatische Gegebenheiten rund um den Boxsport behandeln. „Small, Slow But Steady“¬ ist kein typischer Boxerfilm. Viel eher erinnert er an Slice of Life-Dramen, welche eine Aneinanderreihung an alltäglichen Momenten einer spannungssteigernden Dramaturgie vorzieht. Der Sport ist zwar ein wichtiger Bestandteil in Keikos Leben, aber eben auch nur das: ein Teil davon. Wir sehen Keikos Alltag, in der WG mit ihrem Bruder, beim Training im Boxclub, bei ihrer Arbeit als Reinigungskraft in einem Hotel. Das Boxen ist zwar immer sehr zentral, wir fiebern aber letztendlich trotzdem keinem großen Endkampf entgegen, sondern begleiten die Hauptfigur viel eher durch die Höhen und Tiefen ihres Alltagslebens zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens.

    „Small, Slow But Steady“ verdeutlicht dabei auch unter anderem die Probleme von Keiko als gehörlose Boxerin – nicht nur als Frau in einer männlich geprägten Domäne sondern auch als Gehörlose, deren Gegnerinnen bestimmte Vorteile im Kampf besitzen (Keiko hört weder Tipps, die ihr ihre Trainer während des Kampfes zurufen noch schnelle Entscheidungen der Schiedsrichter*innen). Der Film konzentriert sich aber nicht unbedingt darauf, sondern verdeutlicht viel eher die Stärken Keikos und zeigt, wie sie ihre Nachteile im Kampf auf anderer Ebene ausgleichen kann; was wiederum demonstriert, dass etwas schnell als Nachteil empfunden wird, was im Endeffekt aber auch einfach ein anderes Zurechtkommen mit einer bestimmten Situation bedeuten kann.

    Yukino Kishii liefert hier eine stark körperbasierte Performance ab, psychische Tiefschläge und innere Belastungen werden dabei vor allem innerhalb ihrer Trainingseinheiten und Boxkämpfe sichtbar. Wenn Keiko gemeinsam mit ihrem größten Förderer vor einem Spiegel eine Boxkombination übt, ist ihr emotionales Empfinden spürbar wie nie. Tomokazu Miuras Figur stellt ohnehin das Herzstück des Boxclubs dar, und gemeinsam mit den Trainern sorgt er für eine manchmal zwar etwas distanzierte, aber doch familiäre Umgebung. Diese Ambivalenz durchzieht den Film gänzlich, genauso erscheint auch Keikos Charakter stets kühl und empfindsam zugleich. Dies ist aber keineswegs störend, sondern trägt zu der besonderen Atmosphäre, die innerhalb des Films herrscht, nur noch zusätzlich bei.

    Womit wir wieder bei den dramaturgischen Mitteln angelangt sind: In „Small, Slow But Steady” wird die Handlung nie unnötig aufgebauscht (der Verzicht auf emotionsstiftende Musik trägt hier auch seinen Teil dazu bei) und es wird auch, wie bereits erwähnt, keine Spannungssteigerung avanciert. Viel eher erhält man eine ruhige Auseinandersetzung mit einer Person und ihrem Umfeld, die so realitätsnah erscheint, dass man fast vergisst, dass man gerade einen Film sieht. Für viele Kinogänger*innen mag der Film in seiner Tonalität vielleicht etwas zu langsam sein, zumindest weiß er aber auf jeden Fall zu berühren - ohne dabei jedoch absichtlich auf die Tränendrüse zu drücken. Ein Boxerfilm der besonderen Art!