Filmkritik zu Sonne

Bilder: Stadtkino Fotos: Stadtkino
  • Bewertung

    Gelungenes Jugenddrama der Generation Z

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2022
    Was bedeutet Heimat? Wer hat ein Anrecht darauf sie als solche zu bezeichnen? Und wie identifiziert sich die Tik-Tok-Generation zwischen Likes, Kulturclash und dessen Aneignung? Die irakstämmige Regisseurin Kurdwin Ayub hat sich in ihren Filmen schon öfters mit dem Thema der Identität junger Migranten, sowie den Social-Media-Trends auseinandergesetzt. In ihrem Langfilmdebüt „Paradis! Paradis!“ begleitete sie ihren Vater Omar, der auch eine Rolle in „Sonne“ hat zurück in den kurdischen Irak, wo er sich eine Wohnung kaufen will.

    In „Sonne“ ist es die Maturantin Yesmin (Melina Benli), die mit diesen Fragen konfrontiert wird. Nachdem sie und ihre Freundinnen Bella (Law Wallner) und Nati (Maya Wopienka) eines Nachmittags mit den Gebetsschalen der Mutter spielen und ein Video mit „Losing My Religion“ von REM aufnehmen. Das Video mit Twerks, Tanz und Emoticons wird ein Riesenhit auf Youtube. Die Mutter (dargestellt von Ayubs realer Mutter) ist wenig begeistert, der Vater (Omar Ayub) sieht es als „heutzutage normal“. Er beginnt den Mädchen regelmäßig Auftritte in verschiedenen arabischen und persischen Feierlichkeiten und Institutionen rund um Wien zu besorgen.

    Während Yesmin zunehmend an diesen Aktionen, in denen sich ihre beiden nicht-muslimischen Freundinnen ein Kopftuch überziehen, zweifelt, beginnen sich Bella und Nati immer mehr in der Community heimisch zu fühlen. Es sind die kleinen Instanzen, in denen Ayub hier einen Paradigmenshift hervorhebt. Nati, die blondeste und „österreichischte“ der Freundinnen übernimmt sowohl bei den Vorführungen als auch bei Medienterminen die Rolle des Rädelsführers. Spricht davon, welche Stimme „ihnen“ nun zuteilwurde. Die Frage, ob sich das Video über den Islam lustig macht, wirkt meist reaktionär abhängig vom Gegenüber beantwortet.

    Doch abseits der Frage von einer gesellschaftlichen Rezeption vergisst Ayub nie, Yesmins innere Beziehung zu ihrem neuen Ruhm zu untersuchen. Als zweite Generation steht sie, wie so oft, ein wenig zwischen den Stühlen. Aber nicht, weil ihr Haushalt nicht progressiv genug wäre, wie das andere Geschichten oft darstellen. Die Mutter bleibt zwar vorwiegend daheim und schimpft den Vater, er würde sich nicht genug um die Kinder kümmern. Aber diese Vorsicht, zeigt sich in einen der stärkeren Szenen, speist sich aus den dramatischen Erlebnissen des Kriegs, den die Mutter erlebt hat.

    Ebenso blickt Ayub durch die Tik-Tok- und sonstigen Social-Media-Kanäle immer auf Yesmins Bruder Kerim, der droht in eine auffällige Jugendgang abzudriften. Als eines Tages die Polizei vor der Tür steht, scheint klar, dass es um seine reine Weste geschehen ist. Aber Ayub gibt sich mit solch einfachen Antworten nicht zufrieden. „Wir haben doch Rollen getauscht“, meint Yesmin provokant bei einem Auftritt zu den Freundinnen. „Ihr seid jetzt die Ausländer.“ Dieser Rollentausch erweitert sich auch auf die Familie. Denn während Kerim vielleicht doch Zweifel an seinen Entscheidungen zeigt, so driften ihre Freundinnen mit ihren neuen kurdischen Freunden immer mehr in eine Parallelgesellschaft ab, aus der sie vielleicht nicht mehr herauskommen.

    Ayub gelingt es viele Identitäts- und gesellschaftliche Probleme der kurdischen Community in Wien aufzugreifen, ohne dabei überladen zu wirken. Als Millenial beherrscht sie auch, wie man schon in ihren Kurzfilmen sehen konnte, die Kunst sich durch soziale Medien Clips auszudrücken. Sie lässt die Jugendlichen ihre eigene Sprache auf die Leinwand projizieren. Das macht den Film erfrischend anders, traurig, aber auch mitfühlend. Ein gelungenes fiktionales Langspielfilmdebüt der Regisseurin.
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    (Susanne Gottlieb)
    13.02.2022
    09:47 Uhr
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