Bilder: Constantin Film, Studio Canal Fotos: Constantin Film, Studio Canal
  • Bewertung

    Von Terror und Trauma

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2022
    Unlängst ist es zum Trend geworden, Terroranschläge und Attentate der jüngeren Zeitgeschichte filmisch zu verarbeiten - nicht selten mit fragwürdigen Ergebnissen. Es ist oft nur ein schmaler Grat zwischen gutgemeinten Auseinandersetzungen mit posttraumatischen Belastungsstörungen der Hinterbliebenen und dem zynischen Unterfangen, eine menschengemachte Tragödie aus reinen Geschäftsgründen bzw. im Deckmantel der Kunstfreiheit auszuschlachten. Vor wenigen Jahren beschäftigte sich Erik Poppe in (dem ebenfalls in Berlin uraufgeführten) „Utøya 22. Juli“ mit dem Anschlag auf ein norwegisches Jugendferienlager, der im Sommer 2011 von Andreas Breivik ausgeführt wurde und 69 Menschenleben forderte. Poppe inszenierte das rechtsextrem motivierte Attentat als 72-minütige Plansequenz und ließ die finalen Minuten einer Gruppe Teenager in Echtzeit abspielen. Rein technisch natürlich ein spannendes Experiment, doch sollte reales Leid für schiere Fingerübungen herhalten müssen? Gibt es überhaupt einen Weg, Opfern und Hinterbliebenen eines solchen Massakers im filmischen Kontext angemessen die Ehre zu erweisen? Wann wird aus vermeintlich knallhartem Realismus ein auf Schockfaktor ausgerichtetes Stück Trauma-Porno? Es sind Fragen wie diese, die einem auch durch den Kopf kreisen, während man sich Isaki Lacuestas neuesten Film anschaut.

    In „Un año, una noche“ (auf deutsch: „Ein Jahr, eine Nacht“) blickt der spanische Regisseur auf den islamistischen Terroranschlag auf das Pariser Bataclan zurück, bei dem im Herbst 2015 während eines Konzerts der US-Rock-Truppe „Eagles of Death Metal“ 130 Personen kaltblütig ermordet wurden. Der Fokus des Spielfilms liegt (basierend auf einem tatsächlichen, autobiographischen Bericht) auf einem jungen Paar, das das Attentat knapp überlebte. Céline („Portrait of a Lady on Fire“-Star Noémie Merlant) und Ramón (Nahuel Pérez Biscayart) gelang es, sich in die Band-Garderobe zu verschanzen und dort während der Geißelnahme im Konzertsaal Zuflucht zu finden. Doch die Nachwirkungen der Tragödie werden für das Paar noch zur Geduldsprobe. Eine Rückkehr ins alte Leben scheint für die zwei unmöglich.

    Wie unterschiedlich Personen Traumata, die mit einer solchen Schreckenstat einhergehen, verarbeiten können, veranschaulicht Lacuesta in seinem Drama eindrücklich. Am interessantesten ist „Un año, una noche“ nämlich dann, wenn die psychischen Langzeitfolgen einer Nahtoderfahrung diesen Ausmaßes erforscht werden. Auf nahbare, authentische Weise skizziert der Film den harten Weg, der vielen Überlebenden einer Tragödie bevorsteht, ehe diese wieder in den gewohnten Alltag zurückfinden können. Persönliche Ideale werden in Frage gestellt, rituelle Handlungen rufen plötzlich traumatische Erinnerungen hervor und wenig fühlt sich an wie zuvor. In all dem Leid findet Lacuesta doch auch Momente der Zärtlichkeit und Intimität, die aufgrund der langsam bröckelnden Beziehung der zwei Protagonist*innen mit zunehmender Laufzeit rarer nehmen. Als Bestandsaufnahme eines Paares, dessen Zweisamkeit durch eine posttraumatische Belastungsstörung aufs Spiel gesetzt wird, weiß der Film durchaus zu überzeugen. Leider lässt es sich Regisseur Lacuesta nicht nehmen, in Form von Rückblenden direkt auf den Abend des Anschlags zurückzublicken. In diesen Momenten büßt das Drama an Effektivität ein und ersetzt seine feinen Beobachtungen durch plakativen Schock. War es wirklich von Nöten, die Schreckenstat zu bebildern und so traumatische Wunden zu öffnen? Hätte es nicht gereicht, die sich in der Folge anbahnenden Konflikte für sich sprechen zu lassen, anstatt ständig auf die Tragödie selbst zurückzuschauen? Eine ärgerliche Entscheidung, die dem Film an Intellekt und Glaubwürdigkeit raubt. Immerhin können die zwei sensationellen Hauptdarsteller*innen dem Drama selbst in seinen schwächsten Momenten glaubwürdige Intensität verleihen und so manch haarsträubendes Faux-Pas elegant kaschieren.

    Isaki Lacuesta exerziert in „Un año, una noche“ die mentalen Folgen, mit denen ein Paar nach einer traumatischen Nahtoderfahrung im Laufe eines Jahres zu kämpfen hat, durch - und das über weite Teile auch auf eindringliche und einfühlsame Weise. Vermeidbare und in Anbetracht des realen Ausmaßes der Tragödie überaus befremdlich in Szene gesetzte Rückblenden sorgen aber für Abstriche.
    1705313743158_ee743960d9.jpg
    (Christian Pogatetz)
    15.03.2022
    20:49 Uhr