Filmkritik zu Alcarràs

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    Ein letzter Sommer

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2022
    Vor wenigen Tagen wurden die Preisträger*innen der 72. Berlinale in einer feierlichen Zeremonie im Berlinale Palast vergeben. Als das spanische Drama „Alcarràs“ von Carla Simon als Sieger des Goldenen Bären und somit des gesamten Wettbewerbs bekanntgegeben wurde, zeigten sich viele überrascht. Doch eines gleich mal vorweg: unverdient war dieser Gewinn keineswegs.

    Die spanisch-italienische Koproduktion spielt sich in der titelgebenden Kleinstadt Alcarràs ab, die im Süden Kataloniens liegt. Seit Generationen betreibt Familie Solé dort eine Pfirsichplantage. Da das Grundstück damals lediglich durch einen Handschlag verkauft wurde, steht die Bauernfamilie nun vor gewaltigen Schwierigkeiten. Bis Ende des Sommers sollen sie die ländliche Fläche räumen, um Platz für den Bau einer Solaranlage zu machen. Die Familienmitglieder reagieren unterschiedlich auf die tristen Neuigkeiten. Vater Quimet (Jordi Pujol Dolcet) bleibt stur und konzentriert sich erstmals weiterhin darauf, die sommerliche Pfirsichernte fertigzustellen. Während sich erste Konflikte anbahnen, findet sich der Rest der Familie, der auch drei Kinder angehören, langsam mit dem Unvermeidbaren ab.

    Regisseurin Carla Simòn ließ den Film von ihrer eigenen Vergangenheit inspirieren, denn einst wuchs sie selbst auf einer katalanischen Pfirsichfarm auf. Mit empathischem Blick nähert sich die Filmemacherin ihren Figuren an und schöpft gar Hoffnungsschimmer aus der Tristesse. Der verspielte Blick der sechsjährigen Iris (Ainet Jounou), auf die sich Regisseurin wohl selbst Simòn projiziert hat, verleiht dem Film eine kindliche Unschuld, die das Ausmaß der Situation für Momente weniger schlimm erscheinen lässt. Der reichhaltige Mikrokosmos, den Simòn hier kreiert, fühlt sich durch und durch lebendig und greifbar an. Auf Künstlichkeiten, die dem angestrebten Realismus wohl gebremst hätten, wird nahezu gänzlich verzichtet. Mit wunderbaren, sonnengetränkten Bildkompositionen lässt einen der Film mühelos in sein ländliches Ambiente eintauchen. Die zuhauf aus Laiendarsteller*innen bestehende Schauspielerriege verstärkt die Authentizität nur. Simons Film lebt nicht von einem großen, wendungsreichen Narrativ, sondern eben genau von den kleinen, präzisen Beobachtungen. Ein persönliches und politisch aufgeladenes Werk, das sich mit reichlich Empathie auf die Seite des kleinen Mannes stellt.
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    (Christian Pogatetz)
    20.02.2022
    20:42 Uhr