Filmkritik zu Broadway

Bilder: Le Pacte Fotos: Le Pacte
  • Bewertung

    Die Außenseiterbande

    Exklusiv für Uncut vom International Film Festival Rotterdam
    „Broadway“, das Langfilmdebüt des Griechen Christos Massalas, ist Teil der „Big Screen Competition“ des diesjährigen IFFR. Der Regisseur wartet darin, wie der Titel bereits vermuten lässt, mit allerhand Bühnenspektakel auf, allerdings anders als man wahrscheinlich erwarten würde: die Bühne wird hier nämlich auf die Straße verlegt. Dabei kommen nicht nur so manch soziokritische Fragen auf, sondern es entspinnt sich auch ein Machtspiel rund um Liebe und Betrug.

    Nelly (Elsa Lekakou) widmet sich gerade ihrer Bühnenshow in einem Athener Stripclub, als ihr die Handlanger ihres gewalttätigen Stiefvaters auflauern. Zum Glück geschieht dies nicht unbemerkt von Markos (Stathis Apostolou), einem Stammgast Nellys, der Gefallen an der Tänzerin gefunden hat und ihr deshalb zur Flucht verhilft. Die beiden kommen sich näher und Nelly kommt am „Broadway“ unter, der baufälligen Unterkunft von Markos und einer Gruppe von Menschen, die sich als Taschendiebe durchschlagen. Unter anderem befindet sich dort auch ein mysteriöser junger Mann, dessen Gesicht vollständig von Bandagen bedeckt wird. In einem dunklen Raum wartet er darauf, dass seine Wunden verheilen. Die Zeit vergeht und sowohl Nelly als auch der junge Mann scheinen sich erfolgreich in die Gruppe einzugliedern. Eines Tages wird Markos jedoch verhaftet.

    Die unkonventionelle Reise, auf die uns Regisseur Massalas in „Broadway“ mitnimmt, beginnt in der Gefängniszelle von Markos als Nelly ihm einen Besuch abstattet. Der direkte Einstieg in die Handlung wird von einem Voiceover der jungen Frau begleitet, welches als stimmiger Rahmen für die Vereinigung verschiedener zeitlicher Erzählstränge dient. Erzählt wird hier nämlich nicht chronologisch, sondern anhand von Flashbacks. Beziehungsweise anhand eines einzelnen, alles umfassenden Flashbacks. Gut strukturiert und ansprechend kommentiert stellt die narrative Dichte jedenfalls ein großes Plus des Films dar.

    Nach dem gelungenen Einstieg finden wir uns schnell am Haupthandlungsort des Films wieder - der Unterkunft der Straßengang, die Massales als titelgebende Inspiration diente: der „Broadway“. Der Ort ist eine Mischung aus altem Theater – inklusive Bühne und Backstage-Bereich mit Kostümen – und verlassenem Grundstück, welcher eine passende Kulisse für die sich erstreckende Handlung liefert, gerade in Bezug auf die Dynamiken, die mit der Zeit zwischen den Figuren entstehen.

    Neben Nelly, Markos und dem mysteriösen Mann, der sich als Jonas vorstellt, gehören auch Rudolph, Mohammad und die Affendame Lola zu der turbulenten Ansammlung an Menschen, die gemeinsam Straßen-Performances konstruieren, um dem abgelenkten Publikum heimlich Wertgegenstände zu entwenden. Und was soll man sagen: Glitzerkostüme und Musik der 80er sorgen dafür, dass nicht nur das diegetische Publikum in den Bann gezogen wird.

    Die flotte Erzählweise verhindert nach einem äußert starken Beginn zwar nicht den ein oder anderen Hänger zum Ende hin, alles in allem ist der Film aber trotzdem einem ziemlich eingängigen Flow unterworfen (auch dank der atmosphärischen Musik von Gabriel Yared!). Aufgezogen als visuell ansprechendes Thriller-Musical, behandelt „Broadway“ nicht nur private Dramen, sondern liefert auch eine Art Anti-Gesellschaftsbild, durchzogen von Kapitalismuskritik und abseits von Gendernormen. Gerade das ist aber auch der Grund, warum einem schnell das Gefühl beschleichen kann, dass hier sehr viel auf einmal aufgegriffen wurde und der Film oftmals sowohl in seiner allgemeinen Stimmung wechselt als auch den Fokus verliert. Darüber hinaus ist der Symbolismus auch ist nicht immer ganz greifbar.

    Die kompakte Erzählstruktur, die visuelle Ästhetik und die einnehmende Chemie zwischen den Darsteller*innen sorgen allerdings dafür, dass diese Kritikpunkte schnell in den Hintergrund rücken. Und gerade Hauptdarstellerin Elsa Lekakou versteht es, nicht nur ausdrucksvolle Tänze abzuliefern, sondern auch in den stilleren Momenten sehr viel Emotionen auszudrücken – auch dank ihrer äußerst pointierten Mimik.