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    Ein Interviewer wird interviewt

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Georg Stefan Troller hinterlässt mit seinen zahlreichen Filminterviews, Dokumentarfilmen und (Dreh-)Büchern ein großes Werk und scheint mit 100 Jahren dennoch noch nicht am Ende angelangt zu sein. Ruth Riesers „Auslegungen der Wirklichkeit - Georg Stefan Troller“ ist ein filmisches Porträt, in dem sie ihm Raum gibt, seine Geschichte zu erzählen. Wir lernen ihn nicht nur durch seine Arbeit kennen, sondern wir lernen ihn auch als Zeitzeugen des 2. Weltkrieges kennen, aufgrund dessen er seiner Religion wegen 1938 aus Österreich flüchten musste.

    Den Anfang des Porträts stellen Ausschnitte aus seinen zahlreichen Interviews dar, die durch intensive Archivarbeit gefunden und zusammenmontiert worden sind. Zu Beginn weiß man noch nicht genau, was sie darstellen – vor allem, wenn einem der Name Georg Stefan Troller bisher nichts gesagt hat. Aber spätestens nachdem der Protagonist von seiner Arbeit erzählt und weitere Ausschnitte aus seiner Arbeit gezeigt werden, ist klar, woher die Filmschnipsel kommen.

    Herr Troller wurde vor allem aufgrund zweier Techniken bekannt: einerseits hat er seine subjektive Meinung stets in seine Interviews einfließen lassen, und andererseits hat er versucht seine Gesprächspartner wahrheitsgetreuer darzustellen. Dazu hat er ihre Aussagen nicht wortwörtlich übersetzt, sondern ihre Meinung so gut wie möglich sinngemäß wieder gegeben. Und er hat den Übersetzungstext so in das Interview eingebaut, dass man stets auch die Person in seiner oder ihrer originalen Sprache hört und erst dann die Übersetzung davon. So wurden seiner Meinung nach die Interviews spannender und hatten mehr Gehalt.

    Mit dem sogenannten „Pariser Journal“ hatte Georg Stefan Troller zwischen 1962 und 1971 die Möglichkeit seine Interviews im Fernsehen zu übertragen. Anfangs traf seine Interviewweise noch auf Widerwillen, aber bald sind auch andere Männer des Faches auf seinen Zug aufgesprungen. Ruth Reiser zeigt zum Beispiel Ausschnitte aus einem Interview mit Edith Piaf, am Tag ihrer Hochzeit mit dem deutlich jüngeren Théo Sarapo. Es zeigt sehr deutlich seine für die damalige Zeit untypisch persönlichen Fragen. So fragt er sie nach dem Grund, warum sie genau Théo geheiratet hat. Andere berühmte Persönlichkeiten, mit die er sich vor der Kamera unterhalten durfte, sind Agnès Varda, Anaïs Nin, Leonard Cohen, Catherine Deneuve und viele mehr.

    Ruth Rieser hatte es nicht leicht bei einem so starken Vorbild den Spieß einmal umzudrehen und ihm die Fragen vorzugeben. Vielleicht hat sie deshalb den Weg gewählt, indem sie die Unterhaltung so wenig wie möglich gelenkt hat und vielmehr Herrn Troller aus seinem Leben erzählen lassen. Nur in einem Moment, wird in der Bewunderin Trollers eine kritische Seite deutlich, die eine für damals gängige Vorgehensweise hinterfragt, die heutzutage so nicht mehr denkbar wäre.

    Neben dem beruflichen Schaffen von Troller, gibt die Regisseurin seiner privaten Geschichte ebenfalls Raum. Sie macht immerhin gute Schlagzeilen. Gemeinsam besuchen sie das Konzentrationslager Dachau, in dessen Befreiung und Dokumentation er am Ende des Zweiten Weltkrieges involviert war.

    So spannt Ruth Reiser den Bogen nicht nur über die Kultur, sondern auch über ein ganzes Jahrhundert Geschichte. Doch auch in dieser Dokumentation stellt sich die Frage der Auslegung der Wirklichkeit, der im Titel seinen Platz findet. Wie genau, wie authentisch, kann man die Wirklichkeit wiedergeben, wenn bereits zwei Mittler dazwischen stehen? Auf der technischen Seite die Kamera und auf der menschlichen Seite die Person, die sich Teile der Wirklichkeit aussucht, die sie zeigen will. In diesem Sinne versucht dieser Film von Ruth Reiser ein wahrheitsgetreuer Zeuge zu sein, ohne auf zwei Stunden Laufzeit Langeweile aufkommen zu lassen. Aber ein Mensch wie Troller, der so viel erlebt hat, hat auch viele spannende Geschichten zu erzählen.