Filmkritik zu Vortex

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Melancholischer Blick auf das Altern

    Exklusiv für Uncut vom Karlovy Vary Film Festival
    Normalerweise würde man bei Gaspar Noé einen energiegeladenen, fantastischen Film erwarten. Nicht so mit seinem neuesten Werk, „Vortex“. Eindeutig geprägt von jüngeren Verlusten von Freunden, so wie seiner Nahtoderfahrung, ist dieses Werk eher eine düstere, von ungenannten Bedrohungen durchzogene Mischung an emotionalen Höhepunkten und verzweifelten Konfrontationen. Gezeigt wurde der Film auf dem Karlovy Vary Film Festival in der Sektion „Horizons“.

    „Vortex“ wurde nicht umsonst bereits mehrmals in einem Atemzug mit Michael Hanekes „Amour“ genannt. Beide Filme handeln von einem älteren Pärchen, das allein in einer gutbürgerlichen Wohnung haust, und dort von den Tücken des Alterns eingeholt wird. Der Hauptunterschied ist jedoch, dass Noés Film ungleich brutaler in seiner Exekution ist. Hier ist kein Platz für allzu viel Sentimentalität. Sein Setting ist vollgepackter, verzweigter und dunkler. Seine Figuren kriechen wie durch ein Labyrinth ihrer Gedanken und Gefühle, das mit jeder Sekunde enger zu werden scheint.

    Dario Argento, italienische Regielegende und Giallo-Mastermind, spielt den Ehemann und Vater, der sich nicht nur mit einer Herzfehlfunktion und den dazugehörigen Medikamenten herumplagt, sondern auch an einem Buch über das Kino schreibt, bei dem er wenig Fortschritt macht. Sein Alltag besteht aus Werken im Arbeitszimmer, den Gang zur Toilette und Spaziergängen im Freien. Seine Frau (Françoise LeBrun) ist eine pensionierte Psychiaterin, die klar an Demenz leidet, aber dennoch immer weiter Rezepte für Medikamente ausstellt und ihren Mann die Dosierungen einteilt. Es ist klar, dass sich beide Parteien noch lieben und einen gemeinsam Alltag gestalten wollen. Doch ob ihrer Situation wird das immer schwerer. Ihre Konditionen fesseln sie aneinander, sperren sie in der Wohnung ein wie zwei Kuriositäten, denen ab und an mal Besuch gestattet ist.

    Besuch kommt in Form ihres Sohnes Stéphane (Alex Lutz), der die beiden liebt und nur das Beste für sie möchte. Aber Stéphane selber kann sich nur begrenzt um sie kümmern, da er seine eigenen Dämonen bekämpft. Er ist ein ehemaliger Drogensüchtiger, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, saubere Nadeln in der Stadt zu verteilen, und andererseits darauf achten muss, dass er selber nicht rückfällig wird. Wenn er nicht arbeitet, muss er sich als Alleinerziehender um sein Kind kümmern. Seine Liebe zu den Eltern balanciert somit auf dem wackligen Podest von finanziellen, zeitlichen und gesundheitlichen Umständen. Er will, dass die Eltern in eine betreute Wohnung einziehen. Er könne ihnen nicht helfen, er könne schon sich selber nicht ausreichend helfen.

    Das offensichtliche nicht glückliche Ende außer Acht gelassen, ist es für jene, die Noé kennen, ein starker Umschwung von seinem üblichen Stil. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht seine sonst so typischen psychischen und emotionalen Abgründe in die Geschichte packt. „Vortex“ ist unbarmherzig, brutal, und oft auch sehr improvisiert angelegt. Die Enge der Räume, die Nähe der Kamera wirken, also würde sich hier eine dritte Person an dem geistigen Niedergang des Pärchens laben. Die Eheleute mögen zwar in Liebe ewig verbunden sein, doch ihr Ende ist nicht romantisiert. Sie gehen wie wir alle einmal, einsam, auf ihren eigenen Pfad, ihrem unweigerlichen Schicksal entgegen.
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    (Susanne Gottlieb)
    09.10.2021
    21:39 Uhr
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