Filmkritik zu El Planeta

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Zeitgeist-gerechter Kommentar über eine Generation ohne Zukunft

    Exklusiv für Uncut vom Karlovy Vary Film Festival
    In ihrem Spiefilm-Debüt setzt sich die Künstlerin und nunmehrige Regisseurin Amalia Ulman mit den modernen Herausforderungen des Lebens in Spanien auseinander. Gezeigt in der Sektion „Horizons“ des Karlovy Vary Filmfestivals, folgt der Film dem Alltag der Modestudentin Leonor (Ulman) und ihrer Mutter Maria (Ulmans Mutter Ale) und deren Abstieg im Spiel des Lebens.

    Gerade das Studium in London abgebrochen, kehrt Leo in ihre Heimatstadt Gijón zurück, zurück in die Wohnung ihrer alleinlebenden Mutter. Ihre Mutter besitzt keinen Job, Leo strebt keinen an, aber die Standards, an die sie gewöhnt waren und sind, wollen beide nicht aufgeben. Sie leben mit Tricks und Betrügereien somit weit über ihren Mitteln, während sie ihren Tag mit Shoppingtouren, Friseurterminen oder sonstigen Nichtigkeiten vollstopfen. Ulman urteilt jedoch nicht über ihre Figuren. Diese leben in einer Welt, die sie, so sind sich die beiden offensichtlich sicher, früher oder später auf halber Strecke in der Realität treffen wird.

    Vielmehr rückt ein anderer Übeltäter in den Vordergrund, die Nachwehen der globalen finanziellen Krise, die vor allem in Teilen Spaniens schwere Spuren der Verwüstung nach sich gezogen hat. Noch immer hat das Land eine der höchsten Arbeitslosenzahlen, die Jugend ist gezwungen sich in anderen Ländern Arbeit zu suchen und dort eine Zukunft aufzubauen, da es in Spanien keine mehr gibt. Ulman will hier jedoch keine leidende Anklage machen. Sie spickt diese Hoffnungslosigkeit mit einer ordentlichen Portion schwarzen Humor, der sich auch vor allem für die gegenwärtige Millenial- und Zoomer-Generation sehr vertraut anfühlt.

    Ulman hatte bereits als Künstlerin mehrfach Themen wie Klassengesellschaften und Sexualität angesprochen, und diese Themen finden auch in „El Planeta“ Einzug. Zudem mixt sie den Plot subtil mit autobiographischen Elementen, so etwas das Casting von sich selbst und ihrer Mutter. Gijón ist zudem die Stadt, in der die in Argentinien geborene Künstlerin einen Großteil ihres Heranwachsens verbrachte. Wenn sie nun die leblosen, heruntergekommenen Straßen der Küstenstadt porträtiert, dann hat das etwas Persönliches, als würde der Zuschauer einen intimen Blick ins Private riskieren. Die Schwarz-Weiß-Kadrierung des Bildes verstärkt diesen Eindruck oft, verleiht dem Fokus der Geschichte aber auch eine gewissen Schärfe.

    Leos Rückkehr scheint nicht allein ihren geplatzten Ambitionen geschuldet zu sein. Miteinzufließen scheinen auch ein ausgeprägtes Familiendrama und die finanzielle Situation. So wie eine Karriere, die nicht so richtig loslegen wollte. Wie in vielen modernen Szenarien gibt es großartige Angebote für Gigs, die nicht zahlen, aber „Exposure“ bieten.

    „El Planeta“ schafft es, diesen vor sich hinplätscherten Alltag voller Banalitäten und herbeifabulierten Glamour geschickt mit einer gewissen Zelebrierung dieser Prokrastination, aber auch der emotionalen Schwere einzufangen. Die Figuren müssen sich selbst in dieser Welt zurechtfinden, auch wenn klar ist, dass beide mit einem sehr schlechten Blatt spielen.
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    (Susanne Gottlieb)
    08.10.2021
    21:14 Uhr
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