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    This is a Love Story.

    Exklusiv für Uncut
    Der vierte Teil der Matrix-Reihe polarisiert und das ist gut so. Für viele Hardcore-Fans (hauptsächlich des ersten Teils) wirkt es beinahe als wäre „Matrix: Resurrections“ wie ein Faustschlag ins Gesicht, genauso wie Regisseurin Lana Wachowski es auch beabsichtigt hat. Nachdem die kultige Science-Fiction-Reihe vor knapp 18 Jahren mit dem (vermeintlichen) Tod der beiden Protagonisten ihr bittersüßes Ende gefunden hat, entschloss sich Regisseurin Lana (diesmal ohne die Beteiligung ihrer Schwester Lily) noch einmal in die Matrix-Welt abzutauchen. Dazu bewegt wurde sie eigenen Aussagen zu Folge durch den Tod ihrer Eltern, durch welchen sie sich wieder ihren alten „Freunden“ Neo und Trinity, Hauptcharaktere der Filme, zuwandte. Und so kam der Filmemacherin nach und nach eine Idee in den Sinn, wie man der (abgeschlossenen) Erzählung doch noch neues Leben einhauchen könnte. Keanu Reeves und Carrie-Ann Moss übernahmen nach all den Jahren erneut ihre Paraderollen, neu von der Partie sind unter anderem Jessica Henwick, Yahya Abdul-Mateen II, Jonathan Groff und Neil Patrick Harris.

    Thomas Anderson (Neos bürgerlicher Name) gilt mit der Videospielreihe „Matrix“ als einer der erfolgreichsten Spieleentwickler aller Zeiten. Immer wieder wird er allerdings von seltsamen Visionen und Flashbacks geplagt, die ihn an seinem eigenen Verstand zweifeln lassen. Ist seine Realität nur ein weiteres krudes Spiel, das ihm die Matrix vorgaukelt? Nachdem sich die junge Bugs bei ihm vorstellt, wie es einst Morpheus getan hat, steht Neo wieder vor der alles entscheidenden Frage: Rote oder blaue Pille?

    Kommen wir zum Wesentlichen: Nein, „Matrix Resurrections“ ist kein ‚perfekter‘ Film. Aber dem Film gelingt das scheinbar Unmögliche: Eine Weiterführung einer theoretisch abgeschlossenen Geschichte zu spinnen, die nicht nur von ungeheurer Relevanz ist, viel mehr traut sich „Matrix: Resurrections“ sogar Teile seines eigenen Narrativs völlig auf den Kopf zu stellen und jegliche Fortsetzungsklischees zu untergraben. Anstatt sich an vermeintlichen Nostalgiegefühlen festzuklammern (wie man es eventuell einem anderen kürzlich erschienenen Blockbuster unterstellen könnte), geht der Film genau den anderen Weg und macht sich auf einer Metaebene, die selbst Wes Craven’s „Scream“ Konkurrenz machen könnte, über seine eigene Rezension und sein Vermächtnis lustig und hinterfragt im Zuge dessen seine eigene Existenz. Auch eine deutliche Spitze gegen den Mutterkonzern Warner Brothers, der die Wachowski Schwestern Jahr für Jahr wegen möglicher Sequels kontaktierte und bereit gewesen wäre, ohne die Beteiligung der Schöpferinnen fortzufahren, ließ sich Lana, die für die Umsetzung des Projekts vollkommene freie Kreativität verlangte, nicht nehmen.

    Welch bedeutsamer Bestandteil unserer Populärkultur die Matrix-Reihe eigentlich geworden ist, merkt man beispielsweise daran, dass Begriffe wie red pill/blue pill nahtlos in unser Vokabular aufgenommen wurden und wie sehr die Filme bis heute das Actionkino beeinflusst haben. (Surprise, surprise – mit „John Wick“ ist Keanu Reeves übrigens auch heute noch DAS Gesicht des Genres) Viel schwieriger im Kontext der Matrix-Rezension war jedoch eine Auslegung des Gezeigten, die von einer gängigen philosophisch-religiösen Interpretation reichend (von Platons Höhlengleichnis über Existenzialismus hin zur buddhistischen Weltanschauung) in zunehmend problematischere kumulierte und zuletzt auch häufiger vom rechten Eck und Verschwörungstheoretiker:innen für die eigenen Zwecke missbraucht wurde. Genau aus diesem Grund bemüht sich Lana Wachowski im vierten Teil auch ihr geistiges Eigentum, welches so lange zweckentfremdet wurde, zurückzuholen. Dass die „Matrix“-Erzählung hierbei für Lana, die seit 2008 offiziell als Transfrau lebt, vor allem eine höchstpersönliche ist, kann man im Kontext ihrer eigenen Wandlung, die für sie auch eine Art Befreiungsschlag nicht ungleich dem Ausbrechen Neos darstellt, nicht genug unterstreichen. Abseits davon bildet den Kern der Story, die nur an der Oberfläche den klassischen Topos des Auserwählten befolgt, immer schon die bedingungslose Liebe zwischen Neo und Trinity – eine Liebe die buchstäblich über den Tod hinausgeht.

    Während im ersten Teil die Beziehung der beiden Protagonisten erst später relevant wird, rückt diese in den beiden Folgeteilen immer mehr in den Vordergrund und bildet die Handlungsgrundlage der Figuren, die auch im Angesicht absoluter Verzweiflung den Glauben aneinander nicht aufgeben wollen. (Man erinnere an folgenden Dialog am Ende von Matrix Revolutions: „If you tell me we’ll make it, I’ll believe you- We’ll make it. We have to.“) Kein Wunder also, dass auch in Resurrections die Seelenverwandtschaft des Paares eines der zentralen Themen ist, ganz ohne Kitsch und Klischees unterliegt der harten Action auch hier eine der schönsten Liebesgeschichten aller Zeiten.

    Dem Erfolg dieser Liebesgeschichte ist zum Teil auch die großartige Chemie, die Hauptdarsteller Keanu Reeves und Carrie-Ann Moss verbindet, zu verdanken, die auch nach all den Jahren nichts von ihrem ursprünglichen Feuer verloren hat. Unter den Neuzugängen im Cast tut sich vor allem Jessica Henwick hervor, sie fügt sich nicht nur nahtlos in die Gruppe ein, sondern bringt durch ihr Auftreten genau das mit, was dem Film sonst womöglich an Zeitgeist fehlen hätte können. Auch die Absenz manch prominenter Namen (z. B. Laurence Fishburne und Hugo Weaving) ergibt im Kontext des Films vollkommen Sinn, auch wenn der Anschein trügen mag, so muss es sich bei Morpheus oder Smith nicht zwangsweise um die uns bekannten Figuren handeln.

    Visuell hebt sich der Film deutlich von seinen Vorgängern ab, anstatt des charakteristischen Grünstichs, der in der Matrixwelt dominant war, setzt man dort nun auf hellere, freundliche Farben. Die Action-Sequenzen, übrigens choreographiert von Scott Rogers, der auch für den dritten und vierten „John Wick“ verantwortlich ist, entsprechen den gewohnten Mix aus elaboriertem Kung-Fu und Schussgefechten, wobei auch neue Ideen wie sogenannte „Bot-Bomben“ für positive Überraschungen sorgen.

    Ein würdiger (Neu-) Abschluss der legendären Filmreihe, der sich mit selbstreferentiellem Humor gekonnt Konventionen widersetzt!
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    (Julia Pogatetz)
    03.01.2022
    08:28 Uhr