Filmkritik zu Mehrunisa

Bilder: Golden Girls, Sandeep Kumar Films Fotos: Golden Girls, Sandeep Kumar Films
  • Bewertung

    Mehrunisa kämpt gegen das Patriarchat

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Sandeep Kumar gibt mit „Mehrunisa“ einen realistischen Einblick in die sonst von Bollywood so idealisierte Gesellschaft der wohlhabenderen indischen Bevölkerung, ohne den mystischen Reiz der indischen Kultur aufgeben zu müssen.

    Ein tragischer Auslöser bringt drei Generationen von indischen Frauen unter dem Dach von einer Haveli zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Vorne voran die 80-jährige Mehrunisa – gespielt von Farrukh Jaffar – die gerade ihren Mann verloren hat. Ihre Tochter Jasmin scheint das Ereignis jedoch mehr mitzunehmen als Mehrunisa selbst. Jasmin folgt den sich gebietenden Sitten nach dem Tod eines Familienangehörigen und versucht somit die Familienehre aufrechtzuerhalten. Das gelingt ihr allerdings nur teilweise, da Mehrunisa den Tod ihres Mannes nicht als Trauerfall, sondern als Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches ansieht: endlich frei zu sein und niemandem untergeordnet bzw. unterjocht sein zu müssen.

    Der Film zeigt damit als einer von wenigen, wie patriarchalisch die indische Gesellschaft aufgebaut ist und wie sehr die Frauen darin unterdrückt wurden bis zur tatsächlichen Selbstaufgabe.

    Nach der Hochzeit war man als Frau keine eigenständige Person mehr. Nach dem Tod ihres Mannes besteht Mehrunisa beharrlich darauf, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und sich von niemandem beeinflussen zu lassen. Trotz dieser egoistischen und sturen Züge vermag es Farrukh Jaffar das Publikum mit ihrer charmanten Art und Weise, sich zu artikulieren und zu bewegen, in den Bann zu ziehen. Es gehen zwar einige Sprachfacetten und -witze verloren, die Ausstrahlung von der legendären Schauspielerin ist aber universell spürbar.

    Mithilfe der tollen Besetzung schafft es Sandeep Kumar trotz der Ernsthaftigkeit des Sujets den für Außenstehenden Märchencharakter der indischen Sitten und Brauchtümer aufrechtzuerhalten und gleichzeitig nicht ins Tragische abzugleiten, sondern das Thema humorvoll zu entfalten. Dabei helfen vor allem die kindisch angehauchten Vorhaben, die Mehrunisa gemeinsam mit ihrer Enkeltochter schmiedet, in der sie eine Gleichgesinnte und Verbündete gefunden hat. Eine Verbindung, die sie Zeit ihres Lebens nie mit ihrer Tochter aufbauen konnte. Jasmin stand stets auf der Seite ihres hochangesehenen aber allein bestimmenden Vaters. Ihre Mutter, die unter dieser starken Dominanz als Person so gut wie ausgelöscht wurde, hat sie nie verstanden. Nun da diese alles begrenzende Kette gebrochen scheint, begreift auch Jasmin immer mehr, mit welch blinder Ignoranz sie viele Dinge einfach hingenommen hat.

    „Mehrunisa“ übt nicht nur an den familiären Bedingungen Kritik, sondern auch an der Widerspiegelung des patriarchalen Charakters in der Filmindustrie, die das utopische Bild der indischen Familie in die ganze Welt hinausträgt. Kumar macht dies aber derart leichtfüßig und amüsant, dass man nicht das Gefühl hat, belehrt zu werden, sondern auf lustige Art und Weise tiefer in eine andere Kultur eintaucht. Und noch eines muss man dem Regisseur zugutehalten: Als Mann sich so überzeugend in die Seele von drei komplett unterschiedlichen Frauen hineinzufühlen, schafft sicherlich nicht jeder Mann - geschweige denn, es versuchen zu wollen.