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  • Bewertung

    Revenge is a dish best served cold

    Exklusiv für Uncut vom SXSW
    Als beliebtes Horror-Subgenre existiert der Rachethriller seit geraumer Zeit. Der Ausgangspunkt ist hier oft ein besonders widerwärtiges Gewaltverbrechen, das einer weiblichen Protagonistin widerfährt, die darauf beschließt ihre Peiniger zu bestrafen, wie man es beispielsweise aus dem kontroversen Exploitationfilm „I spit on Your Grave“ kennt. Auch wenn diese Beschreibung ziemlich gut auf das Regiedebüt von Madeleine Sims-Fewer und Dusty Mancinelli zutrifft, hebt sich „Violation“ doch von anderen Filmen dieses Genres in vielerlei Art und Weise ab. Der Film wurde unter anderem im Rahmen des Sundance Film Festival sowie beim South by Southwest Festival gezeigt und ist seit kurzem im Programm des amerikanischen Horror-Streamingdiensts Shudder zu sehen.

    Miriam und ihr Mann Caleb fliegen von London nach Kanada, um sich dort mit Miriams Schwester Greta und deren Mann Dylan zum Campingausflug zu treffen. Die beiden mittlerweile distanzierten Schwestern hadern im Umgang miteinander, auch Miriams Ehe liegt in Trümmern. Eines Abends trinken die vier gemeinsam gemütlich am Lagerfeuer, schließlich gehen Caleb und Greta schlafen, die deutlich angetrunkene Miriam bleibt mit Dylan zurück. In einem freundschaftlichen Moment öffnet sich Miriam und erzählt Dylan von ihren Eheproblemen und Unsicherheiten. Beide schlafen am Feuer ein, doch als Miriam am nächsten Morgen ihre Augen öffnet, ändert sich für sie schlagartig alles.

    Das „Unaussprechliche“, das Miriam hier angetan wird, also die titelgebende „Violation“, hört nicht bei der Vergewaltigung am Lagerfeuer auf. Auch die absolute Ablehnung ihrer Schwester und ihres Mannes Miriams Aussagen ernst zu nehmen und diese nicht nur als Gespinste ihrer Fantasie abzutun, trägt maßgeblich zu Miriams seelischen Kollaps bei. Was darauf folgt, ist ein ausgeklügelter Plan, sich an dem Mann zu rächen, der ihr für immer das Gefühl von Sicherheit genommen hat.

    Hier kommt die weibliche Perspektive zum Tragen, die in anderen Filmen oft fehlt. Die Rache ist hier nicht Genugtuung, nicht Wiedergutmachung, um das ihr geschehene Verbrechen zu tilgen, sondern viel mehr grausame Notwendigkeit für die verzweifelte Miriam. So wie er ihren Körper zerstört hat, macht sie sich daran auch seinen Körper zu zerstören, bis schlussendlich kaum mehr etwas von ihm übrigbleibt. Selbst im Angesicht ihrer bevorstehenden Vendetta ist sie allerdings stets zögerlich und unsicher, bricht ihr Unterfangen fast ab. Als sie schließlich ihr Vorhaben doch durchzieht, übergibt sie sich, fällt auf alle Viere und wirkt vulnerabler als je zuvor.

    Bemerkenswert ist hier vor allem, dass in diesen schonungslos dargestellten Szenen, so unfassbar unangenehm und ekelerregend sie auch sein mögen, die Kamera stets fokussiert bleibt, wo andere längst wegschwenken würden. Im Gegensatz dazu steht die Schlüsselszene der Vergewaltigung, die in einer Art Rückblende gezeigt wird, und rein aus Miriams Perspektive vollständig außerhalb des gezeigten Bildframes stattfindet.

    Der nichtlinear erzählte Film erinnert thematisch an den vielfach ausgezeichneten und demnächst auch bei uns erscheinenden Film „Promising Young Woman“ und geht doch seinen ganz eigenen Weg. Interessant ist hierbei auch, wie die Protagonistin uns zu Beginn des Films vorgestellt wird. Miriam tadelt ihre Schwester für ihr barbarisches Jagdhobby, rettet sogar eine Spinne in misslicher Lage vor dem Tod, während ihr Schwester ihr dennoch vorhält, dass sie als eine Art „weißer Ritter“ zu oft versucht hätte sie in Schutz zu nehmen und sich dabei aber lediglich selbst in den Vordergrund stellen wollte. All diese kleinen Momente können im Kontext des späteren Geschehens in einem anderen Licht gesehen werden und gleichzeitig als Parallelen zum weiteren Handlungsverlauf gelesen werden.

    Co-Regisseurin Madeleine Sims-Fewer ist nicht nur zusätzlich Produzentin und Co-Autorin des Werks, vor allem ist sie aber auch als Hauptdarstellerin zu sehen. Mit einer unvergleichlichen Hingabe und Überzeugungskraft verblüfft Sims-Fewer in „Violation“ darstellerisch auf allen Ebenen und lässt in nonverbalen Szenen ihren ganzen Körper für sich sprechen. Auch die bewusst aufgebaute Dynamik zwischen den Figuren funktioniert mit Hilfe des talentierten Castingensembles tadellos und wirkt im Hintergrund der folgenden Handlung nur noch stärker.

    Ein gnadenloser, effektiver Thriller, der im Kontext der allgegenwärtigen sexuellen Gewalt gegenüber Frauen unglaubliche Relevanz hat und von der ausgezeichneten Darstellung von Madeleine Sims-Fewer lebt!
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    (Julia Pogatetz)
    25.03.2021
    23:27 Uhr