Filmkritik zu Ted K

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  • Bewertung

    Ambitionierter Einblick in die Psyche des Unabombers

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2021
    In Europa vielleicht weniger bekannt, ist die Geschichte des Unabombers Ted Kaczynskis in den USA eine der großen einheimischen Terroristen- und Mördergeschichten der letzten Jahrzehnte. Ein Beweis, dass ein brillanter junger Mann, mit den besten Voraussetzungen im Leben, sich radikalisieren kann und als Eigenbrötler zurückgezogen in der Wildnis Montanas an Briefbomben bastelt. Regisseur Tony Stone und Hauptdarsteller Sharlto Copley haben sich anhand seiner Aufzeichnungen und Notizen versucht, über die Psyche einen filmischen Zugang zu dem Täter zu bannen.

    Sharlo Copley, bekannt für eher ungewöhnliche Rollen und herausfordernde Charakterisierungen, schlüpft auch hier mit beeindruckender Leichtigkeit in die mentale Instabilität eines verwirrten Genies, sozial inkompetenten Individuums, sowie exzentrischen Psychopathen. Was man Copley vielleicht im Laufe des Films vorwerfen kann ist, dass er etwas zu zurechtgestutzt schaut. Wer Bilder von Kaczynski bei seiner Verhaftung gesehen hat der weiß, wie heruntergekommen und verwahrlost der Unabomber bereits ausgesehen hatte.

    Ungleich der amerikanischen Serie „Manhunt“ (2017), die sich auf die Aufarbeitung des Ablaufs der Ermittlungen gegen den Unabomber konzentriert und somit auch vermehrt auf das FBI, wird „Ted K“ rein aus der Perpsektive Teds erzählt. Seine Augen sind unsere Augen, seine Erlebnisse unsere. Nur in seltenen Fällen schwenkt die Kamera von ihm weg, um Kontext zum historischen Ablauf der Dinge zu geben. Die Frau, die ihm beim Bombenlegen sah und woraufhin durch ihre Beschreibung der berühmte Sketch mit Hoodie und Sonnenbrille angefertigt werden konnte. Die Opfer, deren Körperteile in Stücke zerfetzt wurden, wann immer eine Briefbombe auf ihrem Tisch landete. Für Kenner der Geschichte ein wichtiges Indiz, aber glücklicherweise keine Voraussetzung, um der Handlung folgen zu können.

    Womit Stone und die weiteren Drehbuchautoren vielmehr arbeiten, sind Voice-Overs von Tagebucheinträgen und Pamphlets Teds, Dokumente die in seiner kleinen Holzhütte sichergestellt werden konnten. So legt sich der Hass seiner Worte, die Verbitterung wie ein Oxymoron über den friedlichen Wald, in dem er sein Dasein fristet. Erst wenn die Eindringlinge näher kommen, die Flieger, die Waldarbeiter, die Dirt Bike Fahrer, dann intensiviert sich die Konfrontation, dann wird aus dem Idyll ein Ort der Bedrohung. In einer frühen Szene sieht man Ted in ein leeres Ferienhaus einsteigen, nur um die Quads in der Garage zu sabotieren. Ungleich anderer Diebe geht er dabei aber nicht durch die Tür oder das Fenster. Er hackt sich, mit viel Wut und Geduld, ein Loch in die Wand. Hier geht es um maximale Zerstörung des modernen Eindringlings.

    Dieser Kontrast zwischen unangenehmen lauten Zivilisationstrips und den langen, idyllischen Naturaufnahmen, in denen sich Baumwipfeln wiegen, Tiere durchs Gehölz pirschen und Bäche vor sich hingluckern ist künstlerisch mit vielen Anleihen an den Arthousefilm umgesetzt. Der wiederholte Gebrauch von Vivaldi, vor allen seinen vier Jahreszeiten sowie Bach und anderen klassischen Komponisten mag zwar ein wenig kitschig wirken, ist aber der Tatsache geschuldet, dass Kaczynski selber eine Vorliebe für diese Künstler hatte.

    Dieses ungewöhnliche Zusammenspiel hat seine Gründe. „Ted K“ versucht hier nicht, den Täter zu erklären, liefert ihm aber auch gleichzeitig nicht eine indirekte Plattform. Es inkludiert seine Gedanken, ordnet sie aber nicht systematisch ein. Diesen Intellekt, den Kaczynksi mit sich brachte, macht seinen Fall so interessant und mach ihn zu einem der faszinierendsten Attentäter in amerikansicher Geschichte. Der Unabomber, so nannte man ihn, predigte in einem Manifest über die fortschreitende Dominanz der Technik über die Natur, die zunehmende Unfreiheit des Menschen und deren Ausrichtung auf die Akquisition kommerzielle Güter. Gesellschaftliche Probleme zu erkennen sind das eine. Zu erklären, „manchmal hilft es hier Menschen umzubringen“, entreißt ihm jedoch jeglicher Vernunft.

    Doch um hier ein entsprechend starkes Argument zu bauen, verliert sich der Film etwas zu oft in seiner eigenen Timeline. Die Chronologie stimmt, aber mit der Auslassung einiger wichtiger Momente ist man sich oft, ohne die bereits erwähnten externen Hinweise, nie sicher am welchen Punkt man sich in der Geschichte Teds befindet. So inkludiert der Film sehr prominent das Attentat auf Percy Wood, die erste größere Bombe die er verschickt, auch wenn in der Realität Wood bereits drei Attentate voraus gingen. Sind die kleineren Randale an seinem Umfeld zu Beginn somit die sich aufbauschende Radikalisierung? Oder muss der Zuschauer annehmen, dass Ted zu diesem Zeitpunkt bereits Bomben gebastelt hat?

    Letztendlich ist „Ted K“ auch die Zusammenfassung von einer 16-jährigen Entwicklung, und manchmal springt der Film etwas zu unschön zwischen den Jahren um zur Verhaftung vorzupreschen. Das verfrachtet ihn fast schon wieder in die konventionelle filmische Biografie. Ein Stilmittel, dem er sich vor allem gegen Ende immer mehr hinzugeben scheint.

    Dass sein Bruder David, der in dem veröffentlichten Manifest Ted erkannte und den Behörden einen Tipp gab, sowie dessen Frau und die gemeinsame Mutter nicht gecastet wurden und nur aus dem Off agieren, war hingegen eine schlaue Wahl. Denn irgendwann wird klar, nicht wir allein beobachten den Wald durch Teds Augen. Der Wald, und wer immer ihn betritt, beobachtet ihn auch zurück. Diese Antizipation, das Unvermeidliche des Unbekannten, bekommen so sonst nur wenige Filme dieser Art hin. Das macht „Ted K“ letztendlich zu einem sehenswerten Versuch, sich der Psyche eines Attentäters anzunähern.
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    (Susanne Gottlieb)
    09.03.2021
    12:17 Uhr
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