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  • Bewertung

    Schmerzvolles Scheitern am Leben

    Exklusiv für Uncut vom International Film Festival Rotterdam
    Was, wenn man der Welt so viel zu geben hätte, aber diese kein Interesse an einem hat. Was, wenn man nichts anderes kann als sich konstant selbst zu sabotieren. Und wie mit einem Umfeld umgehen, in das man nicht hinein zu passen scheint? In ihrem Spielfilmdebüt umkreist die norwegische Regisseurin Itonje Søimer Guttormsen das dunkle Bewusstsein, wie leicht man an den Herausforderungen des Alltags scheitern kann. Gerade, wenn man sich in so sensiblen Sparten wie der Kultur und des freiberuflichen Werkens beheimatet ist.

    Ob sich Guttormsen nun als Regisseurin hier von Eindrücken aus ihrem unmittelbaren Umfeld hat inspirieren lassen, oder die Geschichte in ihren Augen einen universalen Charakter hat, sei dahingestellt. Ihre Hauptfigur Gry-Jeanette (Birgitte Larsen), oder Gritt wie sie sich selber nennt, ist die Quelle all dieser Aufruhren, die selbst denen mit dem wohlsituiertesten Job jene tief vergrabenen Ängste wecken können, in denen man sich am Leben gescheitert wähnt. Der erste Eindruck von Gritt ist noch einer von Energie und Determination. Mit ihrer Kollegin Marte (Marte Wexelsen Goksøyr) sitzt sie in einem Dinner in New York und beide reden von den Projekten an denen sie zu arbeiten planen. Gritt will eine Performance-Inszenierung namens „The White Inflammation“ auf die Beine stellen. Worum es genau gehen soll, kann sie jedoch nicht sagen. Irgendetwas mit Norwegen, dem Westen im Generellen, der Unfähigkeit der Menschen zu agieren.

    Als wäre der erste Hinweis noch nicht genug stellt sich auch kurz darauf heraus, dass Gritt nicht mit einem künstlerischen Auftrag in der Stadt ist, sondern für die geistig behinderte Marte vom Staat als Unterstützungsperson mitgeschickt wurde und das Geschehen nur vom Rand beobachtet. Zurück in Oslo, mit neuer Energie geladen, will sie sich erneut ihrem Projekt widmen, erfährt aber vom Kunstverband, dass ihr Projekt sich nicht für eine finanzielle Unterstützung qualifiziert hat. Als Kulturschaffender sollte das bekannt sein, und die Sympathien fliegen Gritt auch zunächst noch zu. Doch dann stellt sich heraus, dass sie die Wohnung nur für eine Bekannte gehütet hat. Nach einem weiteren Besuch bei Lars Øyno, dem Leiter des „Theatre of Cruelty“, bei dem sie versucht ihm ihr Stück zu pitchen, wird klar, dass Gritt nicht nur ohne festen Wohnsitz ist, sondern außer einem Namen und einer vagen Inhaltsangabe nicht viel hat, was die zuvor getätigte Absage für die Förderung umso verständlicher vermacht.

    In weiterer Folge verfolgt die immer erratischer agierende Kamera Gritt wie sie sich von Schlafplatz zu Schlafplatz angelt, versucht ihr Stück auf die Beine zu stellen, aber es sich in ihrer Determination mit mehreren Weggefährten verscherzt. Die Ablehnung Lars‘ ihr Stück zu inszenieren, aber seine Erlaubnis im Theater zu übernachten, hintergeht sie, indem sie junge syrische Flüchtlinge unerlaubt zum Proben ins Theater holt. Als Lars ihre Proben abdreht, beginnt Gritts aufbrausendes Verhalten sich zu intensivieren. Es ist ein verzweifeltes Festhängen am Leben, an einer Idee wie es ausschauen sollte. Und wer war noch nicht in der Situation, an etwas festzuhalten in der Hoffnung, es möge sich letztendlich auszahlen. Doch was, wenn wir uns dabei ähnlich wie Gritt gebärden?

    Die Opposition, in die sie Guttormsen mit Lars oder auch Marte stellt, ist bedrückend. Was wäre, sagt der Film subtil, wenn sie nur ein bisschen besser im Kunstbetrieb verankert gewesen wäre. Wäre sie dann so erfolgreich wie ihre beiden Kollegen? Oder gibt es einen guten Grund warum Gritt gescheitert ist. „Ich habe keine Ausbildung,“ schluchzt sie in einer Sitzung mit zwei Psychologen, als sie am Scheideweg steht, was sie mit sich selbst machen soll. Weiter versuchen Theater zu inszenieren oder aufgeben. Die Psychologen scheinen überzeugt, dass ihre Probleme in der Außenwelt behebbar sind und sie in keine Anstalt muss. Aber als Zuschauer sieht man, dass Gritt sich immer mehr in ihren Gedanken verliert. Guttormsen lässt sie in verträumten, manchmal staccatoartigen Sequenzen monologisieren, über die Unfähigkeit an das Umfeld anzudocken. Über die Fremdartigkeit der Welt.

    Genauso zeigt sie nie Szenen aus Gritts Stück, was es unmöglich macht, sich ein Urteil darüber zu fällen ob an Gritt eine begnadete künstlerische Stimme verloren gegangen ist. Es bleibt dem Zuschauer selbst überlassen zu urteilen, ob Gritt ein tragischer Spielball ihrer Umstände ist, oder ein systematisches Problem des Kunstbetriebs.
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    (Susanne Gottlieb)
    03.02.2021
    13:44 Uhr
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