Filmkritik zu The Father

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  • Bewertung

    Das Leben mit Demenz

    Exklusiv für Uncut
    Es war wohl DIE Überraschung der Oscarverleihung 2021: Obwohl im Vorhinein zwar der im August 2020 verstorbene Chadwick Boseman als großer Favorit für den Oscar für den besten Hauptdarsteller gehandelt wurde, konnte letztendlich Schauspiel-Routinier Anthony Hopkins die begehrte Trophäe für sich beanspruchen. Dieser Umstand war sogar für Hopkins selbst äußerst überraschend, verschlief er gar die Preisverleihung, bei der er aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht persönlich anwesend sein konnte. Aber nicht nur Hopkins wurde für „The Father“ ausgezeichnet, auch der Regisseur des Films, Florian Zeller, gewann gemeinsam mit Christopher Hampton einen Oscar („Bestes adaptiertes Drehbuch“), dessen Skript auf seinem gefeierten Theaterstück aus dem Jahr 2012 basiert – was aufgrund der kammerspielartigen Inszenierung des Films auch nicht zu leugnen ist.

    Der 80jährige Anthony (Anthony Hopkins) liebt das einsiedlerische Leben in seiner geräumigen Altbauwohnung, in der er am liebsten den ganzen Tag Arien durch seine Musikanlage und die angeschlossenen Kopfhörer dröhnen lässt. Lediglich Tochter Anne (Olivia Colman) kommt ihn besuchen, erledigt die nötigen Einkäufe und bereitet täglich verschiedene Mahlzeiten zu. Mit der Zeit ereignen sich allerdings immer seltsamere Vorfälle in Anthonys Apartment. Annes Freund Paul (Rufus Sewell) behauptet zum Beispiel, dass sich Anthony in seiner Wohnung befindet und dass der alte Mann lediglich Gast in der Wohnung seiner Tochter und ihres Lebensgefährten sei. Dann besteht auch noch eine fremde Frau (Olivia Williams) darauf, seine Tochter Anne zu sein, während die neue Pflegerin (Imogen Poots) wiederum der jüngeren und vor Jahren tödlich verunglückten Tochter Lucy zum Verwechseln ähnlich sieht. Und wer ist eigentlich der fremde Mann (Mark Gatiss), der es sich mit einer Zeitung im Wohnzimmer bequem macht? Bald wird klar: Anthony leidet an Demenz. Und diese Zwischenfälle sind erst der Beginn eines neuen Alltagslebens, in der Realität und Imagination immer stärker zu verschwimmen drohen.

    Aufgezogen als Mischung zwischen mysteriösem Kammerspiel und anrührendem Familiendrama, nähert sich „The Father“ dem Thema der Altersdemenz auf besondere Art und Weise an. Der Handlung liegt eine äußerst durchdachte Herangehensweise an die Thematik zugrunde, die gerade in ihrer filmischen Umsetzung oftmals schwer greifbar ist. Dabei versetzt Zeller die Zuschauer*innen in die Rolle von Anthony, und durchspickt die scheinbare filminterne Realität mit seiner veränderten demenzbedingten Wahrnehmung – und schafft es so, auf äußerst eindrucksvolle Weise, den Verlauf einer Demenzerkrankung nachzuvollziehen. (Soweit das überhaupt möglich ist, handelt es sich bei Demenz natürlich um eine äußerst komplexe und häufig auch sehr individuell verlaufende Erkrankung.)

    Grandios sticht dabei Anthony Hopkins hervor, der eine wahnsinnig nuancierte Performance abliefert, die man sicherlich nicht so schnell vergisst. Unterstützung erhält er dabei von einer ebenso ausdrucksstarken Olivia Colman, die gemeinsam mit Hopkins zum regelrechten Traum-Schauspielduo avanciert. Allein wegen der großen Schauspielkunst, die man in „The Father“ geboten bekommt, wäre der Film schon sehenswert. Zellers Regiedebüt hat allerdings auch abseits der fantastischen Schauspielleistungen noch einiges zu bieten: das starke Drehbuch beispielsweise, welches vor allem auf emotionaler Ebene zu überzeugen weiß, oder die kreative Umsetzung der Handlung, die gekonnt Demenz von verschiedenen Seiten und aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Sowohl Hopkins verwirrte Gedankenwelt, in der die eigene Wohnung zu einem Labyrinth aus verschiedenen Mysterien wird, als auch Colmans Machtlosigkeit, mit der Angehörige demenzkranker Personen oftmals konfrontiert werden, bieten eine Bandbreite an Identifikationsmaterial, weshalb einem der Film sicherlich auch dann nahe geht, wenn man selbst noch nicht mit Demenz in Berührung gekommen ist – umso mehr, wenn dies schon der Fall sein sollte.

    Untermalt wird das Ganze von der Musik Ludovico Einaudis, der dafür extra einige Stücke komponierte, die auf das Innenleben seines Protagonisten (bzw. seiner Umgebung) abgestimmt sind. Das und die Tatsache, dass sich der Großteil der Handlung in einem einzelnen Setting abspielt, führen zu einem regelrechten Auf und Ab der Gefühle, die immer wieder zwischen Harmonie und Beklemmung wechseln; letztendlich sorgt gerade das aber auch für das stimmige Gesamtbild des Films.

    Stilistisch überzeugend, emotional fordernd und grandios besetzt: „The Father“ zählt sicherlich zu den Highlights des bisherigen Filmjahres, das man auf keinen Fall verpassen sollte! Gespannt darf man außerdem noch auf Florian Zellers nächstes Projekt mit dem Titel „The Son“ sein, in dem er dieses Mal Hugh Jackman, Laura Dern und Vanessa Kirby versammelt und der im selben Kanon wie „The Father“ erscheinen wird.