Filmkritik zu Mass

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  • Bewertung

    Die Last der Schuld

    Exklusiv für Uncut vom Sundance Film Festival
    Mit seinem Regiedebüt „Mass“, das im Rahmen des Sundance Film Festival seine Weltpremiere feierte, legt Schauspieler Fran Kranz ein schmerzhaft berührendes Drama dar. Dass ausgerechnet Fran Kranz, der einem breiten Publikum durch seine Rolle als Stoner Marty im Metahorrorstreifen „The Cabin in the Woods“ bekannt gemacht wurde, einen Film mit solcher emotionalen Wucht und Sensibilität schaffen würde, mag viele überraschen. Doch das dem Film zu Grunde liegende Thema, ist für den Regisseur ein zutiefst persönliches. Anlass sich einem derartig schweren Thema zu widmen, war der Parkland High School Amoklauf im Jahr 2018, der dem Regisseur so nahe ging, dass er sich intensivst mit der Materie auseinandersetzen wollte. Das Werk entfaltet sich kammerspielartig und setzt seinen Fokus ausschließlich auf seine vier Hauptdarsteller Jason Isaacs, Martha Plimpton, Ann Dowd und Reed Birney, die allesamt auf beispiellos hohem Niveau spielen.

    Das Ehepaar Jay und Gail befindet sich auf den Weg zu einer weit entfernten Kirche, während eine dortige Mitarbeiterin nervös einen Konferenzraum herrichtet. Die beiden wirken äußerst nervös, sollen sie doch heute auf gerade jene Menschen treffen, deren Sohn während eines Amoklaufs vor vielen Jahren ihren eigenen Sohn brutal ermordet hat. Obwohl vor allem Gail dem Treffen gegenüber misstrauisch wirkt, beschließen sie es auf Anraten ihres Therapeuten durchzuführen, in der Hoffnung durch das Gespräch endlich mit der Last des emotionalen Traumas abschließen zu können. Was folgt ist ein herzzerreißender Dialog über Schuld, Verantwortung und Vergebung.

    Selten war ein Film in so vielerlei Hinsicht derartig zurückhaltend und dennoch unglaublich intensiv. Um die rohe Emotion auf möglichst authentische Weise vermitteln zu können, hat sich Regisseur Kranz entschieden über weite Teile des Films hinweg komplett auf Hintergrundgeräusche zu verzichten und mit einen zunehmend enger werdenden Bildformat die Beklommenheit der Situation noch mehr zu verdeutlichen.

    Jason Isaacs, der den meisten vor allem als Lucius Malfoy in den Harry-Potter-Filmen ein Begriff sein dürfte, gibt ungelogen die beste Performance seiner langen Karriere und könnte für die nächste Awards Season bereits ein heißer Anwärter auf zahlreiche Preise sein. Doch auch Martha Plimpton und Ann Dowd spielen sich die Seele aus dem Leib. Während Plimptons Charakter ein nervliches Wrack ist, der die emotionale Bürde, die auf ihr liegt, nicht mehr länger tragen kann, strahlt Dowd Wärme und tiefgehendes Mitgefühl aus, die den ganzen Raum aufzufüllen vermag.

    Eine der wichtigsten Fragen, die der Film aufwirft, ist die der Schuldzuweisung. Während die Betroffenen zunächst den Eltern des Täters eine Mitschuld für dessen Handeln geben wollen, dient es den beiden mehr als interner Bewältigungsmechanismus, der sie davon abhält, endgültig loslassen zu können. Die Mutter des Amokläufers hingegen hadert mit der Tatsache, dass sie trotz allem noch immer Liebe für ihren Sohn empfindet und versucht ihn mit aller Kraft in guter Erinnerung zu behalten, wofür sie mit schwerwiegenden Schuldgefühlen zu kämpfen hat. Kranz‘ wahrhaft gelungenes Drehbuch verleiht den aufwühlenden Dialogen Tiefe und Authentizität, die den Film zu einem einzigartigen Erlebnis machen.

    Ein aufwühlendes Drama, das vollkommen auf großes Gehabe verzichtet und stattdessen rohe Emotion und komplexe menschliche Konflikte für sich sprechen lässt!
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    (Julia Pogatetz)
    03.02.2021
    09:22 Uhr