Filmkritik zu Mayday

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Geschlechterkampf im Traumland

    Exklusiv für Uncut vom International Film Festival Rotterdam
    Wie sonst ließe sich die Spannung zwischen Männern und Frauen besser ausdrücken, als wenn man wortwörtlich in den Krieg zieht? Regisseurin Karen Cinorre lässt in ihrem Spielfilmdebüt Grace van Patten in diesem Konglomerat aus „Alice im Wunderland“, „Odysseus“ und „Suckerpunch“ durch einen Ofen in eine andere Welt, in dem ein immerwährender Krieg zwischen Frauen und Männern ausgefochten wird.

    So banal diese Ausgangssituation zunächst klingen mag, es ist nicht der heftige Symbolismus, der Cinorres Debüt manchmal ein wenig den Raum zu Atmen raubt. Vielmehr ist gerade dieses Element der Geschichte eine geschickte Auseinandersetzung mit der Frage, wie Frauen mit einer dominanten Machtstellung umgehen würde. Ob die Konflikte, die wir in dieser Realität austragen, so schwarz-weiß auf eine andere übertragen werden können.

    Cinorre lässt zunächst Van Patten in der Rolle der Ana Sexismus in der realen Welt erleiden, der, bis auf ihren guten Freund Dimitri (Théodore Pellerin), die männlichen Spieler dieser Geschichte mit wenig Sympathie ausstattet. Die Braut (Mia Goth), auf deren Hochzeit Ana arbeitet, wird in einem privaten Panikmoment zurechtgewiesen, sie müsse „nun ihre Rolle annehmen“. Ein verzweifelter Ruf um Hilfe endet im nichts. Später wird Ana von ihrem Chef in den dunklen Ecken der Anlage in die Ecke gedrängt, nur um nach dem angedeuteten Missbrauch erneut beschimpft zu werden. Als sie wiederholt einen zart geflüsterten „Mayday“-Ruf vernimmt, folgt sie diesem durch einen Ofen und landet auf einer idyllisch anmutenden Mittelmeerinsel, wo sie von der Braut, die sich nun Marsha nennt, empfangen wird. Ein ebenfalls hier gestrandeter junger Mann wird hingegen von einem Scharfschützen niedergestreckt.

    Diese Scharfschützen waren Marshas Kompanie Gert (Soko) und Beatrice (Havana Rose Liu), die gemeinsam mit Marsha in einem gestrandeten U-Boot wohnen und regelmäßig mit Mayday-Rufen männlich besetzte Schiffe in die die Insel umziehenden Sturmböen locken, wobei sie sterben. Wenn nicht am Radar, erschießen sie die auf dem Landstrich campierenden Truppen, egal ob als Soldat gekleidet oder nicht. „Dafür ist keine Zeit“, meint die resolute Marsha zu einer zunehmend zweifelnden Ana, es gäbe sowieso nur zwei Seiten.

    In der Verdeutlichung von Anas Gewissenbissen gelingt es Cinorre einerseits, durch lange Sequenzen von Frauenbonding, Unternehmungen und dem füreinander einstehen in Konfliktsituationen einen weiblichen Schulterschluss zu demonstrieren, der es den Frauen erlaubt sich fern männlicher Obrigkeit in ihrer Identität auszuleben. Symbolisch ergießt sich diese Manifestierung einer selbstbewussten Identität Anas in ihrer Aneignung der Fähigkeit Schwimmen zu können. Andererseits verweigert Cinorre es auch, bis auf wenige Ausnahmen die Männer als böse Eindringlinge und Zerstörer dieses matriarchalen Friedens zu inszenieren. Sie wirken wie hilflose Buben in Uniformen, und gleich wie bei „Alice im Wunderland“ und schon exemplifiziert an der Figur von Marsha, beginnt Ana in ihnen Bekannte aus der realen Welt zu erkennen. Der Koch, der mit ihr so freundlich umgesprungen war, der Fotograf, der sie ablichtete, obwohl ihr Chef meinte, sie sei ein Niemand. Und dann hört sie eines Tages am Radar, der Todesfalle ihrer Operation, eine Stimme, die sich verdächtig wie Dimitris anhört.

    Bis es jedoch zu dieser Verdichtung der gewissensschweren Events kommt, dreht Cinorre in der Handlung die eine oder andere Pirouette zu viel, wiederholt sich in ihren Argumenten, den Dialogen und inszeniert zum Teil Sequenzen, so eine Tanznummer Anas mit einer männlichen Kompanie, die eher künstlerisch überheblich als symbolisch signifikant wirken. Die Kontrastierung zwischen Marshas an sich nobler Mission, Frauen vor Misshandlung zu retten und ihnen eine Chance zur Vergeltung zu bieten und der immer groteskeren Ausübung dieser Ansprüche im Vergleich zu Ana, die versucht die Welt nicht in Kategorien einzuteilen, ist ein narratives Element, dass Cinorre wiederholt in verschiedenen Inkarnationen auf die Leinwand bannt und sich so zu wiederholen beginnt.

    Warum würde sie hier je wegwollen, wird Ana gefragt als sie gegen die Ordnung dieser Welt zu rebellieren beginnt. Für sie mag es idealistisch sein, doch für den Zuschauer entsteht kurz vor dem finalen Akt ein gewisser repetitiver Ennui, der noch aus einer ganz anderen Motivation einen hoffen lässt, dass Ana ihren Weg in eine kompliziertere, aber versöhnlichere Welt und Auseinandersetzung der Geschlechter findet.
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    (Susanne Gottlieb)
    13.02.2021
    09:55 Uhr
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