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    Zwischen zwei Welten

    Exklusiv für Uncut vom Sundance Film Festival
    Rebecca Hall kannte man bislang nur als Schauspielerin. Durch prominente Rollen in populären Hollywood-Filmen wie „The Prestige", „Frost/Nixon" oder „Iron Man 3" erlangte die gebürtige Britin internationale Bekanntheit. Mit „Passing" gibt die heute 35-Jährige nun ihr Regiedebüt und ist dafür gänzlich hinter die Kamera verschwunden. Das Drama basiert auf dem gleichnamigen Roman von Nella Larsen, der ursprünglich im Jahre 1929 erschien und von Rebecca Hall zum Drehbuch adaptiert wurde.

    Der Film transportiert sein Publikum zurück ins New York im Jahre 1929. Im Fokus der Geschichte steht die wohlhabende Afroamerikanerin Irene (Tessa Thompson), die an einem Sommertag Zuflucht vor der Hitze sucht und diese im kühlen Café eines Luxushotels findet. In der Menge der weitestgehend weißen Café-Gäste fühlt sich die junge Frau jedoch schnell unwohl. Eine dort anwesende Frau starrt Irene sogar kontinuierlich an, entpuppt sich bald aber als deren ehemalige Kindheitsfreundin Clare (Ruth Negga). Clare ist ebenfalls Afroamerikanerin, gibt aber aufgrund ihrer hellen Haut vor weiß zu sein, um so ein unauffälliges Leben in der gehobenen Schicht führen zu können. Selbst ihr eigener Ehemann John (Alexander Skarsgård), dessen Weltbild stark rassistisch geprägt ist, weiß nichts von ihrer tatsächlichen Hautfarbe. Irene hingegen ist gemeinsam mit ihrem Mann, dem Arzt Brian (André Holland), und ihren zwei Söhnen Teil der schwarzen Elite Harlems und führt innerhalb dieser ein respektiertes Dasein. Mit Irenes Hilfe gelingt es Clare im Geheimen in die afroamerikanische Community des New Yorker Stadtteils einzutauchen und von dieser akzeptiert zu werden. Es entsteht eine Freundschaft zwischen den zwei einander bereits bekannten Frauen, die sich in noch ungeahnte Richtungen entwickeln wird.

    Halls Debütwerk kann sich insbesondere auf optischer Ebene sehen lassen. Die grobkörnige Schwarz-Weiß-Ästhetik sorgt in Kombination mit dem altmodischen 4:3-Bildformat für einen wunderbar nostalgischen Look, der das Großstadtflair der Zwanziger gekonnt einfängt. Das Kostüm- und Setdesign tragen zur Authentizität der dargestellten Dekade das Übrige bei. Auch der jazzige und angenehm minimalistisch verwendete Piano-Score reiht sich nahtlos in den Stil des Films ein.

    Neben den gelungenen formal-ästhetischen Aspekten ist es vor allem das natürliche Schauspiel aller Beteiligten, das zu beeindrucken vermag. Tessa Thompson überzeugt mit einer unerwartet zurückhaltenden Darbietung, bei der die lauteren Töne umso mehr nachwirken. Ruth Negga hingegen verkörpert die nach außen hin quirlige Clare, die sich in Wahrheit jedoch in ihrer selbstkreierten Realität unterdrückt fühlt, mit reichlich Charme, Energie und Inbrunst. Durch die glaubhaft liebevolle Chemie, die sich zwischen Thompson und Negga bildet, lässt sich auch ein homoerotischer Subtext erkennen.

    Inhaltlich gesehen setzt sich das komplexe Drama in den ersten zwei Dritteln mit der Suche der eigenen kulturellen Identität innerhalb einer zutiefst fremdenfeindlichen Reichengesellschaft auseinander. Beide Protagonistinnen würden aufgrund ihrer hellen Haut als ‚weiß‘ durchgehen, jedoch nur eine der beiden führt in ihrer Angst tatsächlich ein unauffälliges Leben unter Weißen. Je näher sich die zwei kommen, umso mehr kommt Clare aus ihrer Schale heraus und schafft es zu ihrem wahren Ich zurückzufinden. Mit der Zeit verliert der Film jedoch seinen anfänglichen Fokus und verläuft sich ein wenig in einem nicht ganz so gut gelungenen Eifersuchtssubplot. Das antiklimaktische Ende, auf das das Werk hinausläuft und in der Form scheinbar 1:1 aus dem Originalroman übernommen wurde, weiß in filmischer Form leider auch nicht wirklich zu funktionieren und fühlt sich in der Ausführung zu gehetzt an.

    Im Großen und Ganzen handelt es sich bei Rebecca Halls Filmadaption von „Passing“ dennoch um ein äußerst gelungenes Regiedebüt für die britische Schauspielerin. Ein vor allem technisch und darstellerisch eindrucksvolles Schwarz-Weiß-Drama, das gesellschaftliche Fragen aufwirft, die auch heute noch von großer Relevanz sind. Sehenswert!
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    (Christian Pogatetz)
    04.02.2021
    10:24 Uhr