Filmkritik zu Becky

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  • Bewertung

    Spaßiger Home-Invasion-Splatter mit Kevin James als Neo-Nazi

    Exklusiv für Uncut vom Slash Filmfestival
    Aktuell würden die meisten Kevin James wohl am ehesten mit seichten Komödien der Marke „Happy Madison“ assoziieren. Auch nur halbwegs ernste Rollen hat der Schauspieler, der einst mit der Erfolgssitcom „King of Queens“ Bekanntheit erlangte, bis dato erfolgreich vermieden. Nachdem sein langjähriger Schauspielkollege und Freund Adam Sandler im vergangenen Jahr mit „Uncut Gems“ sein Potenzial als Schauspieler eindrücklich unter Beweis stellen durfte, wollte es James seinem Kumpel wohl gleichtun und wagt sich für den Horrorthriller „Becky“ nun endlich in dramatischere Gefilde vor. Für den neuesten Film des genreaffinen Regieduos Jonathan Milott und Cary Murnion (u.a: „Cooties“, „Bushwick“) schlüpft James in die Rolle eines sinistren Neo-Nazis.

    Gelingt es dem völlig gegen den Strich besetzten Comedian sein „Kaufhaus Cop“-Image abzulegen, um seine düstere Figur glaubhaft darzustellen? Tatsächlich ja.

    Ob auch der restliche Film zu funktionieren weiß erfährt Ihr in Kürze. Vorerst aber: Worum geht es denn überhaupt?

    Der Home-Invasion-Thriller widmet sich der 13-jährigen Teenagerin Becky (Lulu Wilson), die den ein Jahr zurückliegenden Krebstod ihrer Mutter immer noch nicht wirklich verarbeiten konnte. Zur Ablenkung verbringt sie mit ihrem Vater Jeff (Joel McHale), ihrer Stiefmutter Kayla (Amanda Brugel) und deren kleinen Sohn Ty (Isaiah Rockcliffe) ein gemeinsames Wochenende in einem abgelegenem Haus am See. Der geplante Entspannungstrip entpuppt sich aber schon bald als wahr gewordener Albtraum. Eine Gruppe entflohener Häftlinge schafft es nämlich ins Ferienhaus der Familie einzudringen und sucht dort nach einem Schlüssel, der angeblich im Keller versteckt sein soll. Angeführt wird die gefährliche Truppe vom einschüchternden Neo-Nazi Dominick (Kevin James), der Beckys Familie als Geisel nimmt. Dem Mädchen selbst gelingt es, sich in den Wald zu verschanzen. Was folgt ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Becky und Dominicks Truppe, bei dem das Mädchen auf einen blutrünstigen Rachefeldzug geht.

    Zu Beginn erweckt der Horror-Thriller den Eindruck eines recht generischen und klischeebeladenen Coming-of-Age-Dramas über Trauma-Verarbeitung. Spätestens aber, wenn die Figuren die Sommerhütte erreichen, in deren Umgebung sich fast der gesamte Film abspielt, und in Puncto graphischer Gewaltdarstellung in den nächsten Gang geschaltet wird, merkt man schnell, was „Becky“ in erster Linie sein möchte: blutiger Splatter-Spaß. Als solcher weiß der Streifen die meiste Zeit über prima zu funktionieren. Kreative Kills, bei denen literweise Blut spritzt, vielerlei Gegenstände als Mordwaffen zum Einsatz kommen und selbst Menschenaugen einfach mal so hinausfallen, dienen dem rasanten Katz-und-Maus-Thriller als Hauptantrieb und wissen köstlich zu unterhalten.

    Es macht just Spaß Jungdarstellerin Lulu Wilson, die sich in schauspielerischer Top-Form präsentiert, dabei zuzuschauen, wie sie nach für nach auf einfallsreich umgesetztem Wege eine Horde dämlicher Neo-Nazis niedermetzelt und diese in jeglicher Hinsicht überlistet. Kevin James' glaubhaft einschüchternde Darbietung des führenden Neo-Nazis Dominick, die fern von der sonst eher leichtfüßigen Stimmung des Films liegt, trägt auch essentiell zum effektiven Spannungsaufbau des Thrillers bei. Die groß auf den Glatzkopf tätowierte Swastika und das andauernde Geschwafel über Reinrassigkeit und „die Brüderschaft“ kann anfangs etwas stereotyp und aufgesetzt daherkommen, fällt durch James' ungeahnt subtiler Performance, die seine Figur nie in eine reine Karikatur kippen lässt, nicht allzu negativ auf. Lediglich „Community“-Star Joel McHale, dessen Figur hier seltsamerweise auch Jeff heißt, wirkt in der Vaterrolle etwas fehlbesetzt und schafft es nicht in den angestrebten Ton des Films zu finden.

    Der Thriller funktioniert generell dann am besten, wenn er sich nicht allzu ernst nimmt und der Splatter im Vordergrund steht. Die versuchten dramatischen Momente (besonders die Szenen, in denen das Trauma der verlorenen Mutter angeschnitten wird) funktionieren abseits von James' ungeahnt glaubwürdiger Darbietung des kaltblütigen Nazi-Gang-Leaders leider kaum und entschleunigen das sonst so flotte Tempo des Films. Mithilfe geschickter inszenatorischer Tricks schaffen es Regisseur*innen Milott und Murnion die beklemmende Spannung, die sich während des ausufernden Katz-und-Maus-Spiels zwischen Becky und den Nazi-Schergen anbahnt, den Großteil der Laufzeit über zu halten.

    Wer sich bei „Becky“ tiefergehendes Drama erwartet, das explizit auf die Motive seiner Figuren eingeht, wird den Kinosaal wohl enttäuscht verlassen. Vielmehr handelt es sich hier nämlich um einen rasant erzählten Thriller mit vielerlei amüsanten Kills, bei denen nicht an Blut und Gore gespart wird. Bestimmt kein Film, der das Rad neu erfindet, aber durchaus solide Splatter-Kost, an der Genre-Fans ihre helle Freude haben werden.
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    (Christian Pogatetz)
    26.09.2020
    11:18 Uhr