Bilder: eOne Germany Fotos: eOne Germany
  • Bewertung

    Farbenfrohe Neuinterpretation für eine neue Generation

    Exklusiv für Uncut
    David Copperfield hat eigentlich schon genug filmische Adaptionen. Oder? Die Geschichte des Waisenjungens, der seinen widrigen Umständen entfliehen und kann und ein gefeierter Autor wird ist bekannt. Aber dem schottische Regisseur Armando Iannucci gelingt es abermals, aus einer bekannten historischen oder literarischen Vorlage einen neuen Spin herauszuholen. David Copperfield nicht als bedrückendes Drama, sondern als Komödie über die Absurdität der eigenen Umstände.

    Die Ausgangslage ist bekannt. David (Dev Patel) wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter (Morfydd Clark) und ihrem Personal Peggotty (Daisy May Cooper) auf. Aber mit der Idylle ist es bald vorbei. Davids Mutter heiratet den sadistischen Darren Murdstone (Darren Boyd), der seine ebenfalls hartherzige Schwester Jane Murdstone (Gwendolyn Christie) mit ins Haus bringt. Als Davids Mutter stirbt, ist für David kein Platz mehr. Er wird nach London in die Fabrik verfrachtet. Dort wohnt er mit der Familie des Trickbetrügers Mr. Micawber (Peter Capaldi) zusammen. Seines Los überdrüssig, gelingt ihm die Flucht. Er zieht zu seiner Tante Betsey Trotwood (Tilda Swinton) und ihren Untermieter Mr. Dick (Hugh Laurie), die zustimmt ihn zu finanzieren. Es folgen die Schuljahre mit dem draufgängerischen James Steerforth (Aneurin Barnard), das Werben um die naive Dora Spenlow (ebenfalls Morfydd Clark), die Freundschaft zu Agnes Wickfield (Rosalind Eleazar), der Betrug des zwielichtigen Uriah Heep (Ben Wishaw), sowie das Drama um Ham (Anthony Welsh) und Emily (Aimee Kelly).

    Charles Dickens hat Zeit seines Lebens über die von ihm erlebte Ausbeutung, Kinderarbeit, Armut und gierige Industrielle geschrieben. Sein Copperfield war ihm der liebste, wohl auch weil er einige Parallelen zu sich zog. Seine genauen Beobachtungen der damaligen Gesellschaft sind einer der Gründe, warum sein Werk heute noch nachklingt.

    Iannucci unterlegt diesen ernsten Grundton mit seinem Gespür für feinen Humor. Dieses Talent, das Absurde und Unterhaltsame im Tragischen und Bedrohlichen zu finden hat er schon mit „The Death of Stalin“ bewiesen. Iannucci befreit Copperfield aus seinem bedrückenden Raster und gestaltet eine bunte Welt, die je nach Gemütszustand schon mal ihren farblichen Glanz verlieren kann. Copperfield ist kein tragischer Heros, sondern ein scheuer, verquerer junger Mann, der sich mithilfe von Freunden und Familie emanzipieren kann. Eine perfekte Rolle für Schauspieltalent Dev Patel möchte man sagen.

    Ebenso ändert Iannucci an manchen Stellen die Handlung ab, flacht dramatische Bögen und schockierende Ereignisse. Diese dienen aber nicht der Zähmung des Plots, sondern um unweigerlichen Entwicklungen mehr Pointiertheit zu verleihen. Die Figuren sind nicht mehr der Spielball des Schicksals oder müssen Haken schlagen um ihr Glück zu finden. Im Bezug auf die romantischen Beziehungskonstellationen beispielsweise treffen sie einfach räsonierte Entscheidungen. Jeder ist seines Glückes Schmied, sozusagen.

    Was neben Iannuccis Kreativität sonst noch scheint ist sein Weltklasse Cast. Von der immer großartigen Tilda Swinton, zu Hugh Laurie, Peter Capaldi, Benedict Wong bis hin zu einem der besten seiner Generation, Dev Patel. Der Film ist zudem komplett farbenblind gecastet, kümmert sich nicht einmal darum ob biologische Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Figuren überhaupt möglich wären. Fortschrittlich und in gewisser Weise auch einzigartig.

    „The Personal History of David Copperfield” ist ein Paradeexemplar, wenn es darum geht darzulegen, wie Neuinterpretationen einen Twist auf eine altbekannte Geschichte darlegen sollen. Ein wunderbarer Film für alle Altersgruppen. Dickens für das 21. Jahrhundert.
    susn_15a35adfde.jpg
    (Susanne Gottlieb)
    24.09.2020
    10:55 Uhr
    Meine Top-Filme: