Filmkritik zu The Last Duel

Bilder: 20th Century Fox Fotos: 20th Century Fox
  • Bewertung

    Historischer Clash um weibliche Emanzipation

    Exklusiv für Uncut
    „Sage nichts. Wir konnten uns einfach nicht helfen“. Mit nervenaufreibender Gelassenheit kommen Jacques Le Gris (Adam Driver) diese Worte über den Mund, als er sich im fremden Schlafzimmer ankleidet und durch die Tür verschwinden will. Auf dem Bett, mental und körperlich gebrochen, wild schluchzend, Marguerite de Carrouges (Jodie Comer), die Frau seines einst besten Freundes Jean (Matt Damon). Diese hat er gerade vergewaltigt. Ein für Le Gris kaum weiter nennenswertes Intermezzo in seiner exzentrischen Existenz als Frauenverführer. Doch Marguerite wird diese Schmach nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Auch, wenn sich ihr dabei als Frau nicht viele Möglichkeiten bieten.

    Die Geschichte von Le Gris und de Carrouges ist in Frankreich ein historisch gut dokumentiertes, und in der Legendenbildung populäres Ereignis. Daran hat sich in den letzten über 600 Jahren seit dem 29. Dezember 1386 nichts geändert. Um seine und die Ehre seiner Frau zu verteidigen hatte Jean de Carrouges seinen Widersacher zu einem staatlich sanktionierten Duell auf den Tod herausgefordert. Ein göttliches Gericht, in dem der mit Gottes Willen Siegreiche als jener hervorging, der die Wahrheit gesagt hatte. Es war nicht nur das letzte seiner Art, es inspirierte auch die Forschung. Hatte Le Gris Marguerite wirklich vergewaltigt? Was war damals genau passiert? Der Film selber interessiert sich weniger für solche hypothetischen Fragen. Die Tat ist gegeben. Vielmehr schielt er auf die gesellschaftlichen und politischen Mechanismen, die diese Tat begleiten. Mechanismen, die eine oft unverkennbare Brücke zur Gegenwart schlagen.

    Basierend auf dem Buch „The Last Duel: A True Story of Trial by Combat in Medieval France” des UCLA-Professors Eric Jager führt bei diesem Historienepos niemand anderes als der mit dem Genre bestens vertraute Ridley Scott Regie. Bevor dieser einen erneuten, mäßig erfolgreichen Ausflug ins Alien-Universum wagte, hatte er bereits in jüngeren Jahren bei dem das Genre revolutionierenden „Gladiator“ (2000), und den weniger erfolgreichen „Kingdom of Heaven“ (2005) und „Robin Hood“ (2010) Regie geführt. Matt Damon und Ben Affleck, die zwar immer wieder mal gemeinsam vor der Kamera standen, aber das letzte Mal bei ihrem Durchbruch „Good Will Hunting“ (1997) ein Drehbuch verfasst hatten, lieferten mit Nicole Holofcener das Skript.

    So wie letztendlich schon im 14. Jahrhundert das Verbrechen nur an der Erzählung Marguerites festgemacht werden konnte, so unterteilt der Film auch die Handlung in drei unterschiedliche persönliche Perspektiven. Jede der drei Hauptfiguren rekonstruiert die Geschehnisse, die zur Vergewaltigung führten, aus der eigenen Perspektive. Das mag auf den ersten Blick redundant wirken. Doch es sind die kleinen Details, die leicht variierenden Blicke, Kommentare, Gesten, die in ihrer Gesamtheit ein komplett anderes Bild der Situation kreieren. Und sie verraten auch einiges über die Agenda, die jede Figur in dieser Geschichte verfolgt.

    Da wäre zum einen Jean, ein Knappe alten Schlags, dessen weltlicher Horizont von Pflicht, Kampf und Generationenerbe geprägt ist. Mit leicht reizbarem Gemüt, wenig Weltgewandtheit, dem einzigen Ziel einen Erben zu produzieren vor Auge und seiner Impulsivität am Schlachtfeld macht er keinen besonders interessanten Gefährten. Vor allem nicht für seinen Herrn, den Graf Pierre d'Alençon (Ben Affleck). Dieser bevorzugt den durchtriebenen Lebemann Jacques, mit dem er den ganzen Tag trinken, huren und intrigieren kann. Das führt letztendlich dazu, dass Jacques nicht nur zu dessen rechter Hand wird, sondern Jean auch Rang und potenziellen Besitz wegschnappt. Die Weichen, schon vor der Vergewaltigung, sind daher auf Konfrontation der aufgeladenen, fragilen männlichen Egos gesetzt.

    Marguerite dagegen tritt als sensible Frau im goldenen Käfig auf. Jean ist kein so liebender, aufopfernder Ehemann ihr gegenüber wie er das selbst von sich glaubt. Jacques imponiert ihr nicht mit seinem Machogehabe, so wie er glaubt. Die junge Frau ist sich bewusst für ihren Mann in erster Linie ein Mittel zum Zweck zu sein. Ein Besitz, der ihm einen Erben schenken soll. Diese Rolle bestimmt auch ihre Rechte im Laufe der Anklage gegen Jacques. Es sei kein Verbrechen gegen die Frau, sondern ein Verbrechen gegen den Besitz des Mannes, stellen die (männlichen) Würdenträger fest.

    Dass Marguerite nicht nur versucht der Zeit entsprechend eine gute Ehefrau zu sein, sondern sich auch bewusst ist, dass sie ihre Rechte nach der Tat nur über die Regeln des Systems geltend machen kann, mit ihrem Mann als Hauptankläger, hebt den Film aus der Masse neo-feministischer Historienfilme heraus. Hier werden nicht moderne Figuren aus dem 21. Jahrhundert in die Vergangenheit zwangsverpflanzt. Marguerite agiert und denkt nicht wie eine kontemporäre Frau, aber sie versucht anhand ihres ausgeprägten moralischen Kompasses Recht und Unrecht geltend zu machen. Und gerade durch die Abwesenheit dieser anachronistischen Ideologien lassen sich hier viel deutlicher die Schnittpunkte zu den modernen, noch immer mangelhaften weiblichen Rechten schmerzhaft erkennen.

    Abseits seiner Bemühung um weibliche Positionen und das Aufzeigen männlichen Narzissmus versteht es der Film auch einen ungeschönten Einblick in die gesellschaftliche Entwicklung und Politisierung zu geben. Jemand wie Jean kommt von einer altmodischen „Blut und Ehre“ Tradition. Sein Titel ist vererbt, seine Visitenkarte das Schwert. Ihm gegenüber steht Jacques, der in Armut aufgewachsen ist, und mit wenig Aufwand und goldener Zunge die höchsten Ämter erreicht. Dass Jean König Charles VI (Alex Lawther) somit um ein Duell bittet, ist daher nicht allein seinem Ego, oder der Tatsache geschuldet, dass ein erstes Urteil durch Pierre Jacques präferiert.

    Es ist Jeans einziger Weg, seinen Mangel an gesellschaftlicher Zugkraft auszumerzen und seinen Stand am Hof zu verbessern. Die sexistischen Attacken des Klerus und des Gerichts gegen seine Frau, die Tatsache, dass sie bei einer Niederlage ebenfalls sterben würde, sind für ihn vernachlässigbar, wenn er nur dadurch wieder in der ersten Reihe mitspielt. Eine Tatsache, die auch Frauen der Gegenwart nur zu bekannt sein dürfte. Was den Film somit zugleich zeitlich einordnet, aber auch wunderbar zeitlos macht.
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    (Susanne Gottlieb)
    13.10.2021
    13:20 Uhr
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