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  • Bewertung

    Segne dieses Rückhaltebecken!

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Österreich ist ja in manchem anerkannte Weltspitze: Schifahren, Granteln und spätestens seit diversen Oskarnominierungen auch in Sachen Film. Besonders auch wenns um nüchtern stille Dokumentationen ohne jedes kommentierende Wort geht. Auch bei „Sicherheit123“ meint man gleich zu Beginn ein weiteres Exemplar aus dieser Schublade vor sich zu haben: regungslos und ohne Kommentar schaut die Kamera ein paar Behelmten zu, wie sie auf Bergeshöhen einem herannahenden Helikopter harren. Der liefert ihnen einen mächtigen Kugelstein. („Was bitte...?“) In der nächsten Einstellung wird’s noch rätselhafter: man positioniert den Stein auf eine kleine Tribüne, die wird mit einem Wagenheber in Position gebracht („Ahhh, es dämmert!“), worauf das tonnenschwere Monstrum in die Tiefe rollt (fast wollt ich schreiben „donnert“, aber nein, stimmt nicht: Sie würden staunen wie wenig Lärm das macht). Kaum liegt er, stapfen Experten los die Laufbahn des Brockens zu vermessen und zu analysieren. Also Lawinenexperten!

    Und schon sind wir mitten im Thema des Filmes: hochalpiner Katastrophen- und Lawinenschutz. Und zwar in erstaunlich mannigfaltiger Form. Dass man für Siedlungen in und nahe sogenannter „roter Zonen“ etwas tun muss, ist auch dezidierten Berglandmuffeln selbstverständlich. Spätestens seit wir in den letzten Jahren immer häufiger mit Berichten von katastrophalen Jahrhundertereignissen konfrontiert sind. Aber haben Sie sich schon jemals Gedanken gemacht, wie es in den Katastrophengebieten konkret weitergeht nachdem die TV-Kameras abgezogen sind? Eben. „Sicherheit123“ widmet sich diesen Vorgängen. Eine sehr stille, hochkonzentrierte Kamera zeigt Schulungen von Sachverständigen, Sitzungen Verantwortlicher, Katastrophenforscher beim forschen, Arbeiter bei Sicherungsmaßnahmen. Naturgemäß passiert vieles davon vor atemberaubender Kulisse in die der sichernde Experte immer als ein Fremdkörper stört. Das bietet auch immer wieder Gelegenheit zum Amüsement: so fragt man sich wie sinnvoll es sein mag, die Distanzen zwischen einzelnen Gesteinsbrocken auf einer Geröllhalde zu messen, wenn die beim nächsten Hochwasser ohnehin wieder woanders liegen. Oder die Spezialisten die eine Felswand hoch überm besiedelten Tal mit einer Art überdimensionalen Kettenhemd verkleiden, wohl um künftige Felsstürze abzufangen. Also, wenn ich dieser Berg wäre, ich würd mich schütteln vor Lachen (wobei im Reigen der Szenen auch die als Spektakel inszenierte Belastungsprobe derartigen Sicherungsmaterials zu sehen sein wird, die durchaus Staunen macht.). Oder mein Favorit: die Ansprache des Priesters bei der Einweihung eines neuen Rückhaltebeckens. Ein nahezu kabarettistisches Zeugnis der letztendlichen Machtlosigkeit menschlichen Tuns gegen die Naturgewalt: Lieber mal den Herrgott um seinen Segen bitten, nur falls die Technik doch nicht ausreichen sollte. Dass wir in dieser Hinsicht trotz Fortschritts noch nicht viel weiter sind als vor Jahrhunderten, beweisen Votivbilder die in zahlreichen Marterln & Kirchen des Landes von Katastrophen früherer Zeiten erzählen.

    Diese Vergeblichkeit sowie der Wechsel von Idylle und deren Störung sind es auch die beim Zusehen das Gedankenwerkel zu Rattern bringt: warum tun sich die Menschen das an? Warum hat man nicht längst die Unsicherheit solcher Regionen hinter sich gelassen? Auch darauf gibt der Film mögliche Antworten, wenn er uns zeigt, wie sich Ausflügler ameisenhaft die Serpentinen aufs Stilfser Joch hinaufschlängeln oder Schifahrer anderswo die Berge massenhaft hinunterbogerln. Das liebe Geld ists wohl, das mit der Bewirtschaftung der Berge zu machen ist.

    Diese Nachdenkräume sind es also, die „Sicherheit123“ zu weit mehr machen als „Sendung mit der Maus“ für Erwachsene. Neben den hervorragenden Einstellungen ist dies besonders auch der großartigen Tonspur zu verdanken: geniale elektronische Klänge von Edgar Rubenis, die im idealsten Sinne „Industrial Music“ sind. Immer wieder ist man unschlüssig ob es sich um komponierte Musik handelt oder doch nur zufällig bei der gefilmten Arbeit entstehende Rhythmen und Sounds. Wabern und Wummern als hohe Kunst.

    Kunst ist ohnehin das Stichwort: Julia Gutweniger und Florian Kofler kommen beide aus dem Umfeld der Linzer Kunstuniversität. Sie arbeiten seit 2011 als Künstlergemeinschaft „VILLA MONDEO“ filmisch zusammen. Bisherige Projekte wie „BRENNERO/BRENNER“ über den stillgelegten gleichnamigen Grenzort haben schon die Richtung angedeutet in die sie nun auch mit „Sicherheit123“ munter fortsetzen.

    Auch bei diesem Film ist es schade, dass die coronaren Ausgangsbeschränkungen uns die öffentliche Aufführung verdorben haben, Fragen hätte es nämlich genug gegeben. Neben der Entstehungsgeschichte der Musik wüsste man etwa gern mehr über den Titel. Meine Vermutung ist ja, dass „Sicherheit123“ das meistverwendete Computerpasswort von Sicherheitsbeauftragten im deutschen Sprachraum ist. Oder so. Aber letztlich, macht es bei einem Film wie diesem gar nicht so viel, wenn etliche Fragen offen bleiben. Kunst darf das.
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    (Michael Gegenhuber)
    31.03.2020
    20:26 Uhr