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  • Bewertung

    Vier Fäuste und ein Du Oaschloch

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2020
    „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel ist bereits die sechste Zusammenarbeit der beiden. Die Südtirolerin und der Wiener haben sich bereits als Dreamteam der österreichischen Filmszene etabliert. 2012 bekamen sie für ihren Spielfilm „Der Glanz des Tages“ den Großen Diagonale-Preis.

    Ihr neuer Dokumentarfilm „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ besteht fast ausschließlich aus stilvollen Schwarzweiß-Interviews mit Kurt Girk, Alois Schmutzer und ihren Freunden und Feinden aus der Vergangenheit. Es ist aber nicht so sehr ein Portrait der Männer geworden, sondern vermittelt ein Stimmungsbild vom Wien der Sechzigerjahre.

    Der Wienerlied-Sänger Kurt Girk, der auch der „Frank Sinatra aus Ottakring“ genannt wurde, ist 2019 verstorben. In den Interviews unternimmt er noch eine letzte Zeitreise in seine Jugend. Er ist diese Art von alter Mann, dem sein Anzug zwei Nummern zu groß geworden ist. Er raucht und schwelgt in Erinnerungen. Es dauert ein wenig bis der Film darlegt, was er eigentlich erzählen möchte. Girks Anekdoten aus seiner Kindheit in der Kriegszeit stimmen einen noch nicht wirklich auf das ein, was noch kommen soll. Dementsprechend scheinen die Anekdoten von Girk und Schmutzer zunächst noch unzusammenhängend und ohne Ziel. Das bleibt aber nicht lange so. Bald entwickelt sich aus den Interviews ein echter Wiener Krimi aus der Unterwelt. Der einzige Unterschied zu einem Krimi ist, dass die Dokumentation nicht versucht, den Schuldigen einer Straftat zu finden, sondern den Beschuldigten zu entschuldigen.

    Alois Schmutzer wird dargestellt als der prominentesten Gauner Wiens der Sechziger. In einer Szene, in der alle schnell ein Messer oder eine Waffe zücken, schlägt sich Alois allein mit seinen berüchtigten Fäusten durch. Er und sein Bruder Norbert gelten als die Stoß-Könige und stehen im Mittelpunkt des kriminellen Kartenspiels, bei dem das Wien der Unterwelt sein ganzes Geld verspielt. Der Polizei sind die Brüder natürlich ein Dorn im Auge. Im selben Jahr, in dem Norbert vor einem Café erschossen wird, wird auch Alois wegen Anstiftung zu einem Raubüberfall ungerechtfertigt zu zehn Jahren im Gefängnis verurteilt.

    Neben den Interviews wird vereinzelt auch Archivmaterial eingeblendet. Man traut den eigenen Ohren schon fast nicht, wenn Schmutzer, Girk und Co. über Wiens wilde Jahre erzählen. Die Archivbilder ergänzen ihre Anekdoten, nehmen ihnen jedoch an Glanz. Es sind wahrlich Aufzeichnungen aus einer Unterwelt, die heute in Vergessenheit geraten ist. Doch aufgewärmt ist diese genau so gut wie Gulasch.

    Covi und Frimmel ist ein spannender Rückblick auf die Gangsterszene Wiens gelungen, der es schafft, uns auf die Seite eines Verurteilten zu ziehen, dessen Unschuld dem Film sehr am Herzen liegt. Die in schwarzweiß gehaltenen Interviews in Kaffeehäusern vor dem Nichtrauchergesetz liefern eine vertraute und typisch österreichische Ästhetik und das Wienerlied vertont den Schmerz der tragischen Figuren der Unterwelt stimmig. Große Filmempfehlung!
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    (Marina Ortner)
    04.03.2020
    14:46 Uhr
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