Filmkritik zu Time to Hunt

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Die Jagdsaison ist eröffnet!

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2020
    Der koreanische Film ist momentan in aller Munde. Seitdem Bong Jong-Hos antikapitalistischer Satire-Thriller „Parasite“ vor wenigen Wochen völlig verdient Oscargeschichte schreiben durfte, ist das Kino des Landes endlich salonfähig geworden. Und das zurecht: Südkorea produziert nämlich schon seit vielen Jahren konstant Filme mit hoher Qualität, die jedoch nur selten den westlichen Mainstream erreichen konnten. Dass das Kino Koreas aber eine breite Vielfalt an verschiedensten Genres abdeckt, bei dem für jeden etwas dabei sein sollte, ging bis Dato leider an vielen Zuschauern vorbei. Mit dem vierfachen Oscarsieg von „Parasite“ wird sich dieser Umstand demnächst aber hoffentlich ändern, denn „Time to Hunt“, der im Rahmen des heurigen „Berlinale Special“ seine Weltpremiere feierte, besitzt durchaus das Potenzial ein breites Publikum anzusprechen.

    Der Action-Thriller von Regisseur Yoon Sung-hyun spielt sich in einer alternativen Zukunftsvision ab, bei der sich Südkorea in Folge einer verheerenden Finanzkrise zu einem dystopischen Ödland entwickelte. In diesem stehen jungen Leuten kaum mehr Chancen auf eine erfolgreiche Zukunft zu, da der Won an Wert verloren hat und durch den Dollar ersetzt wurde. Der junge Jun-seok (Lee Je-hoon) ist nach einer dreijährigen Gefängnisstrafe gerade erst aus dem Knast entlassen worden und hat deshalb den Zerfall der koreanischen Gesellschaft nicht aktiv mitbekommen. Dennoch ist sein Traum derselbe geblieben wie zuvor: gemeinsam mit seinen besten Freunden Ki-hoon (Choi Woo-shik) und Jang-ho (Ahn Jae-hong) möchte er am US-Inselparadies Hawaii ein neues Leben frei von jeglichen Sorgen anfangen. Um das Ziel verwirklichen zu können, plant er mit seinen Kumpels einen Überfall auf eine lokale Spielbank. Anfangs sind seine Freude der Idee noch eher abgeneigt. Da sie aber ohnehin nichts mehr zu verlieren haben, machen sie beim gewagten Coup mit. Und der Plan geht auf – wenn auch nur bedingt. Bald schon bekommen sie es nämlich mit einem mächtigen Gangster zutun, der die Männer auf seine Abschussliste setzt und wie Freiwild jagen möchte. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.

    „Time to Hunt“ ist definitiv ein für die Berlinale unüblicher Beitrag. Hierbei handelt es sich nämlich um einen astreinen Genre-Film, der auch gut bei einem Slash- oder Fantasy-Filmfest aufgehoben wäre. Daher wird es bestimmt Leute geben, die dem Action-Thriller vorwerfen werden, er sei zu herkömmlich oder würde zu sehr in klassische Genre-Tropen verfallen. Da der Film sich jedoch zu jeder Sekunde darüber im Klaren ist, was er genau er sein möchte – nämlich ein waschechter blutiger Genre-Streifen, der auch gerne Klischees in Anspruch ist – weiß der rasante Ritt für Genre-Liebhaber wunderbar zu funktionieren. Dies ist primär der technischen Finesse zu verschulden. Der Thriller beeindruckt nämlich mit exzellent durchchoreographierter Verfolgungsjagden, die in ihrer Rasanz und Lautstärke noch das müdeste Gemüt voller Adrenalin füllen sollten. Die besagte Action wurde in einer betörenden Neon-Ästhetik getränkt, die neben dem Schnitt und dem eindringlichen Sounddesign viel zur einengenden Atmosphäre des Films beiträgt. Besonders eindrucksvoll ist die Szene, die den für den Plot zentralen Überfall auf die Spielbank zeigt, der als nervenzerfetzende Hochspannungsakt inszeniert wurde und in seiner Machart fast an die Panik auslösende Suspense eines Safdie-Brüder-Films erinnert. Rein plottechnisch betrachtet bietet der frenetische Thriller wenig Neues, obwohl das post-apokalyptische Setting durchaus Stoff für etwas Kapitalismuskritik geboten hätte. Da der Film seine genreüblichen Elemente aber mit großer Hingabe und einem kleinen Augenzwinkern abarbeitet, tut die fehlende Originalität in puncto Story dem Gesamtvergnügen kaum einen Abbruch. Lediglich in seiner Länge hätte der Film durchaus gestrafft werden können. Gegen Ende geht dem ständigen Katz-und-Maus-Spiel nämlich ein wenig die Luft aus und die Action wirkt plötzlich ein wenig repetitiv. Mit einer finalen emotionalen Geste (die zwar vor Pathos nur so trieft, aber durch die Hingabe der Schauspieler trotzdem Effekt zeigt) findet der Film dann aber auch noch Zeit zum Luftholen.

    Unterm Strich lässt sich also sagen, dass Yoon Sung-hyun mit „Time to Hunt“ ein hochspannender, technisch beeindruckender und allen voran spaßiger Thriller gelungen ist, der seine Genre-Wurzeln zelebriert anstatt diese zu verschleiern.
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    (Christian Pogatetz)
    22.02.2020
    23:50 Uhr