Filmkritik zu Minamata

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  • Bewertung

    Johnny Depp im Kampf gegen menschliche Ungerechtigkeit

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2020
    Bis vor wenigen Jahren gehörte Johnny Depp noch zur absoluten Creme de la Creme Hollywoods. Abseits seiner Rolle als Grindelwald und ein paar persönlicher Belangen, die für Schlagzeilen sorgten, blieb es in den letzten Jahren um den einst großartigen Schauspieler (vor allem im Mainstream-Kino) trotzdem erstaunlich ruhig. Lediglich für kleinere Independent-Projekte wie „The Professor“ oder dem letztjährig in Venedig uraufgeführten „Waiting for the Barbarians“ stellte sich Depp erneut vor die Kamera. In diese Sparte dürfte auch das Drama „Minamata“ von Regisseur Andrew Stevitas fallen, das bei der heurigen Berlinale im Rahmen des stets beliebten Berlinale Special seine Weltpremiere feierte.

    Basierend auf wahren Begebenheiten verkörpert Depp darin den einst hoch angesehenen Kriegsfotografen W. Eugene Smith. Anfang der 70er-Jahre hat dieser seine glorreichen Tage vermeintlich jedoch schon hinter sich und ist mittlerweile auch dem gespenstischen Dämon namens Alkoholismus verfallen. Als er eines Tages vom renommierten Life Magazine darum gebeten wird, ins japanische Dorf Minamata aufzubrechen, um dort eine mysteriöse Serie an Quecksilbervergiftungen unter die Lupe zu nehmen, zeigt sich der ehemalige Starfotograf zunächst noch zögerlich. Durch Zuspruch der Dolmetscherin Aileen (Minami), die ihm bei der Reise auch zur Seite steht, willigt er dann aber doch ein, dem Mysterium nach zu gehen. Wie sich schon bald herausstellt handelt es sich bei der Vergiftungsserie um die Machenschaften eines mächtigen Chemiekonzerns, der das lokale Wasser im japanischen Fischerdorf über lange Zeit hinweg verschmutzte und dabei sogar von der Polizei gedeckt wurde. Smith macht es sich nun also zur Aufgabe, die richtigen Bilder zu finden, um der Welt von diesem skandalösen Unterfangen mitteilen zu können. Da im Netz aus Korruption, das sich der Chemikalienkonzern aus schierer Machtgier heraus aufgebaut hat, der Außenwelt jegliche Informationen vorbehalten sein sollen, und dafür auch gerne mal moralische Grenzen überschritten werden, gestaltet sich sein Plan deutlich schwieriger als erhofft. 

    Zurück zum Stichwort „die richtigen Bilder finden“: wenn der Film etwas richtig macht, dann ist das auf jeden Fall das. Am besten funktioniert „Minamata“ nämlich tatsächlich dann, wenn er sich in der epochalen Bildgewalt der nahezu gemäldehaften Aufnahmen von Kameramann Benoît Delhomme verliert. Diese entfaltet sich vor allem ab dem Punkt, ab denn unser Protagonist das berüchtigte japanische Dorf, das dem Film als Hauptschauplatz dient, betritt. Die vorangegangenen Szenen, die sich in den USA abspielen, kommen ästhetisch deutlich blasser und unausgegorener daher. Jedenfalls gibt einen das biographische Drama das Ausmaß der Katastrophe am ehesten dann zu spüren, wenn die zugleich kalte wie auch hochstilisierte Bildsprache in unbeschönter Form die verheerenden Folgen der Quecksilbervergifungen präsentiert.

    Ebenso darf an dieser Stelle Johnny Depp Tribut gezollt werden, denn insgesamt gibt dieser eine durchaus glaubhafte Figur ab. Mit seiner wohl geerdetsten Schauspieldarbietung seit Jahren beweist Depp, dass auch heute noch ein hochtalentierter Charakterdarsteller mit großem menschlichen Verständnis in ihm steckt. Für Depp, dessen eigenes Alkoholproblem ihm mehrfach schon fast zum Verhängnis geworden wäre, scheint die Rolle zudem recht persönlich gewesen zu sein, weshalb wahrscheinlich vor allem die unschönen Alkoholexzesse Eugene Smiths einen authentischen Eindruck machen.

    Blöd nur, dass der Film als Ganzes an seinen eigenen Ambitionen scheitert, die er nicht zu erfüllen weiß. Menschliche Konversationen wirken größtenteils völlig artifiziell, die Mitarbeiter des Chemikalienkonzerns gleichen in ihrer karikierten Darstellung Cartoon-Bösewichten und Ryuchi Sakamotos an sich wohlklingender Score wird derart dick aufgetragen, dass das Drama dadurch beinahe zur lächerlich sentimentalen Parodie seiner selbst verkommt. „Minamata“ möchte auf einen hierzulande kaum bekannten Abwasser-Skandal hinweisen und sollte alleinig dafür zumindest gewissen Respekt widerfahren. Leider nur wirkt hier alles dermaßen aufgesetzt, dass einen das wirklich schwer fällt: angefangen bei den zum Großteil auf Seifenoper-Level agierenden (und eigentlich talentierten) japanischen DarstellerInnen, über die kaum stimmige Inszenierung bis hin zu den unangenehm gestelzten Dialogen. Da können leider auch bildgewaltige Aufnahmen, ein überzeugender Johnny Depp und ein herrlich kauziger Bill Nighy nur wenig retten. Schade drum!
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    (Christian Pogatetz)
    22.02.2020
    11:29 Uhr