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  • Bewertung

    Jugendlicher Roadtrip mit Selbstfindung

    Exklusiv für Uncut vom Crossing Europe Film Festival
    In „Winter Flies“, dem neuen Roadfilm des in Prag wohnenden slowenischen Filmemacher Olmo Omerzu, ist nichts wie es scheint. Während Omerzu den Zuschauer von einem Trip von Tschechiens Norden zu den leeren südlichen Weiten des Landes nimmt, stellt er dem Zuseher zwei junge Burschen vor, die auf der Flucht quer durch die schneebeladene Landschaft sind. Ein Bild so rar wie Fliegen, die durch die kalte Winterluft fliegen. Indem er sich voll auf diese Inkongruenz einlässt, entwickelt der Film die bewegende Geschichte einer unwahrscheinlichen Kameradschaft, auch wenn es dem Film gut getan hätte um die Kanten herum noch etwas geglättet zu werden.

    Ähnlich wie in seinem zweiten Familien Langspielfilm „Family Film“, beginnt Omerzu die Handlung indem er Kinder in eine Erwachsenensituation zwingt. Hier steckt er den 14 Jahre alten Marek (Tomáš Mrvík) und den 12 Jahre alten Heduš (Jan František Uher) in ein gestohlenes Auto und schickt sie auf einen Trip quer durch das Land. Die Gründe warum die beiden von daheim weglaufen werden nicht genannt und bieten sich dem Zuschauer selber zur Interpretation an. Anstatt Freiheit in der weiten Wildnis zu suchen, dient der Roadtrip um all den Problemen der Welt zu entkommen, wobei er die Wärme des Sommer und die Geschäftigkeit, die so typisch sind für dieses Genre, mit dem Winter ersetzt, der sich langsam über die Felder und Wälder ausbreitet und jede Form von Freude und Lebendigkeit erstickt. Verlassen worden zu sein ist ein Katalysator, der diese Fluchtmaschine am Laufen hält, wie Marek später einer Polizistin erklärt, die den Flüchtigen in einer Polizeistation wegen dem gestohlenen Auto befragt. Seine Mutter, meint er, interessiert das alles nicht, da sie „Fernsehen, Facebook und die Frauen bei Kaufland hat“. Aber die beiden Burschen werden im Laufe der Handlung noch feststellen müssen, dass verletzt zu werden sich nicht auf einen Ort und auf die Menschen, die einem nahestehen, reduziert.

    Obwohl das Set-up einladet, das ganze von einem sehr dramatischen Winkel aufzuziehen, vermeidet es Omerzu diesem Impuls nachzugeben. Er verfeinert die dünkleren Momente mit einem feinen Sinn für Humor und schafft so eine kathartische Nische für Schmerz und Realität. Das wird verstärkt durch die Situationskomik der beiden fantastischen Schauspieldebütanten oder den hormongesteuerten Dialog, in dem die beiden Teenager sich ereifern. Drehbuchautor Petr Pýcha scheut keine Option um zu zeigen, wie die beiden sich gegenseitig in ihrem Wunsch anstacheln mit Kurzzeit-Reisegefährtin Brána (Eliška Křenková) Sex zu haben, nur um dann wieder im Ton umzuschlagen wenn sie etwa einen Hund vorm Ertrinken retten und ihn mit auf die Reise nehmen.

    Die Reise führt die beiden über eine weißgetünchte Landschaft, eingefärbt in verschiedenen Graden von Grau und Blau, die sie letztendlich zum Haus von Mareks Großvater führt, der einzigen Person zu der der unruhige Jugendliche eine Beziehung zu haben scheint. Als sie ihn in einem gesundheitlich kritischen Zustand finden, schmeißt der ehemals großspurige Marek seine Erwachsenenattitüde über Board und wir zu jenem Kind das er sein sollte. Jenes, das um Angst hat um seine einzige positive Beziehung auf dieser Welt und daher verletzbar wird in einer sehr unverfälschten und emotionalen Art und Weise.

    Was man dem Film eventuell vorwerfen könnte ist, dass er gelegentlich die vorhersehbare Darstellung der Burschen in der feinen Linie zwischen unheimlich und nur pubertär überschreitet. Wenn Heduš die Anhalterin Brána dazu zwingt zu ihnen ins Auto zu steigen oder versucht, beim Schlafen zu ihr ins Auto zu steigen, wird seine naive verzerrte Moralität klar. Heduš zu einem schrägen Kind zu machen, das gerne mit Spielzeugpistolen spielt und ungesunde Bindungen formt ist eine Sache. Die Tatsache, dass ihre einzige dramatische Funktion ein Auslöser für sexuelle Bedürfnisse ist, verhindert dass Bránas ausreichend ausgearbeitet wird. Das resultiert darin, dass ihr Handlungsbogen zu kurz und unbeeindruckend ist.

    Heduš und Marek müssen beide feststellen, dass man nicht von Dingen weggrennen kann, egal wie verlockend es erscheinen mag. Diese Feststellung manifestiert sich sobald sie den sicheren Hafen ihres Autos verlassen und in der eisigen Realität ankommen. Aber das grundoptimistische Erzählen Omerzus gibt Grund zu glauben, dass ungleich dem Schicksal älterer Zeitgenossen, die beiden nicht daran zerbrechen werden.
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    (Susanne Gottlieb)
    01.12.2019
    23:09 Uhr
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