Filmkritik zu Ghost Tropic

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Mensch ohne Ort. Ort ohne Mensch.

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Der Tag beginnt in einem Wohnzimmer. Ein lilafarbener Teppich mit verschnörkelten Mustern, ein Fernseher, ein Sofa, ein Bild, eine Topfpflanze, die in der Ecke vor sich hin grünt. Prominent steht da ein Tisch mit goldener Tischdecke im Vordergrund, ein Korb, aus dem rotbunt etwas herausschaut, was ein Strickzeug sein könnte, aber auch etwas ganz anderes. Das Wohnzimmer ist leer. Gefüllt nur von den Möbeln, die stumm stehen, vom Licht und den Geräuschen der Stadt. Autos, die hupen, Vögel, die zwitschern, Kinder, die mit den Füßen trampeln. Die Einstellung ist lang und still, es wird dunkler, man merkt, wie die Zeit vergeht. Der Zuschauer schaut in dieses Zimmer. Er ist allein damit.

    Dann erklärt sich eine Stimme: „ Das ist, was ich höre, sehe. Die Zeit, die vergeht.“ Die Geräusche der Stadt, Vogelzwitschern, das Leben der Nachbarn. Der leere Raum, der erst durch die Menschen, die ihn bevölkern, zu etwas wird, das mehr ist als nur der Raum. Die Menschen, die im leeren Raum ihre Spuren hinterlassen. Und wenn dann ein Fremder diesen Raum zu sehen bekommt, in dem man sich aufhält, wie ist das dann? Kommt dann nicht die Scham darüber, wie es hier aussieht? Die Stimme spricht nicht laut, sie flüstert.

    Es ist Khadija, die Protagonistin, deren Stimme wir hören. Der Film wird uns mitnehmen in ihre Welt. Wird sie uns mit den Kollegen aus der Putzfirma lachend bis zum Umfallen zeigen, aber auch alleine durch die Stadt wandernd, nicht immer zielstrebig, manchmal angestrengt, zitternd, aber nie ganz verloren.

    Der Film wird uns die Stadt zeigen, wie sie leer ist nachts, ohne Menschen. Die Spuren, die die Menschen in ihr hinterlassen haben. Die nie ganz weg sind. Ein Einkaufszentrum in der Nacht, eine Tankstelle, und die Nachtbewohner, die in der Nacht wach sind, weil sie arbeiten, draußen übernachten, feiern, wie sie die Welt durchwandern, in ihr statisch sind.

    Khadija nimmt teil an der nächtlichen Welt und durch ihre Teilnahme verändert sie das, was um sie herum passiert. Doch es gibt auch ihre Geschichte, von der wir im Verlauf des Filmes hier und dort ein Stück aufschnappen.

    Es ist manchmal etwas weit hergeholt, was uns der Regisseur da zeigt, manchmal etwas aufgesetzt, aber die Leerstellen, die der Film zeigt und stehenlässt, berühren auf eine ganz eigene Art. Wenn Khadija auf die U-Bahn wartet, betrachten wir sie ganz klein in einer Ecke, durch einen der Überwachungsspiegel am Bahnhof. Die rote Feuerwehrwand ist wirklicher als sie. Als sie dann einsteigt, lässt der Regisseur nur das Geräusch des Zuges und der Türen hören, hält die Kamera dabei auf die blauen nun leeren Wartesesseln am Bahnsteig, die glänzen und spiegeln. Er verschränkt die Präsenz der Orte mit der Präsenz und Abwesenheit der Menschen, die die Orte beleben. Khadija bleibt vor einem Bildschirm sehen, auf dem man die Tropen sieht. Sie sieht ihn lange an. „Get lost“, steht dort. Sich verlieren kann das sein, aber auch verschwinden. Wer verschwindet am Ende wohin und welche Spuren bleiben? Und gibt es das tropische Paradies überhaupt?

    Bas Devos‘ Film, der 2019 bei der Quinzaine des Réalisateurs in Cannes Premiere hatte, bringt den Zuseher in langsamen unaufgeregten Bildern dazu, sich mit der Zeit, ihrem Vergehen, der Welt und den Spuren, die ein Lebewesen darauf hinterlässt, auseinanderzusetzen.
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    (Irene Hetzenauer)
    29.10.2019
    20:20 Uhr