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  • Bewertung

    Absurd der Absurdität wegen

    Exklusiv für Uncut von den Filmfestspielen in Venedig
    Als Anfang September bei der Preisverleihung der 67. Filmfestspiele von Venedig bekanntgegeben wurde, dass der chinesische Animationsfilm „No. 7 Cherry Lane“ die Auszeichnung für das Beste Drehbuch mit nach Hause nehmen würden, waren einige Leute verdutzt. War es doch genau dieses nahezu verstörend absurde Werk von Regisseur Yonfan, das Tage zuvor noch so viele Zuschauer dazu bewegte den Kinosaal vorzeitig zu verlassen, wie kaum ein anderer Beitrag der diesjährigen Wettbewerbsschiene. Auch ich zähle mich klar zu den Gegnern dieses Machwerks, das den Großteil des Publikums wohl mit einem einzigen Fragezeichen im Gesicht zurücklassen wird.

    Dabei ist es keineswegs fehlende Originalität, die man Yonfans ambitionierten Animationsfilm attestieren kann. Im Gegenteil: das Ganze sprüht nur so vor Einfallsreichtum. Mal gibt es fliegende und an Nippeln leckende Katzen (kein Scherz!) zu sehen, in anderen Momenten begleiten wir die beiden Protagonisten bei romantisch-nostalgischen Kinobesuchen alter französischer Klassiker, dann springt der Film plötzlich zu einer musikvideohaften Sequenz, die von einem unpassend gewählten chinesischen Hip-Hop-Track untermalt wird.

    Klingt alles etwas unzusammenhängend? Ist es auch!

    Worum es denn nun überhaupt in „No. 7 Cherry Lane“ lässt sich nur schwer in Worte fassen. Im Grundkern stehen jedoch der Englisch-Nachhilfelehrer Ziming, dessen 18-jährige Schülerin Meiling und deren Mutter Mrs Yu, die dem Nachhilfelehrer immer näher kommt. Der Großteil der Ereignisse im Film spielt sich im Hong-Kong der 60er-Jahre und wird von einer unbestreitbaren soziopolitischen Macht durchzogen. Während Mrs Yu als ehemalige Kriegsrevolutionärin, die sich zwischen politischer Eigeninitiative und dem voranschreitenden Materialismus Hong-Kongs hin- und hergerissen fühlt, die Vergangenheit repräsentiert, stellt Meiling, ihre selbstbewusste und intelligente Tochter mit Hang zum rebellischen Aktivismus, die vermeintlich rosige Zukunft des Landes dar. Mag sich die politische Dimension des Films auf Papier noch hochspannend anhören, weiß diese in der Ausführung leider nur bedingt ihr Potential auszuschöpfen.

    Yonfan scheint vielmehr daran interessiert zu sein, sich in 'kreativen' Traumsequenzen und Fantasien zu verlieren, die rein ästhetisch durchaus einen gewissen Reiz ausgeübt hätten, wäre da nicht ein großes Grundproblem, das sich durch den gesamten Film zieht: die leblose Animation. Der Regisseur ließ in der anschließenden Pressekonferenz anklingen, dass er an Animation als Medium eigentlich nicht interessiert sei, und das lässt sich im Endprodukt sehen. Die ungewöhnliche und laut manch Kritiker 'revolutionäre' Entscheidung, die Bewegungen der Figuren im Zeitlupen-artigem Schneckentempo zu animieren, raubt dem Ganzen schon von Beginn an jeglichen Flow. Zwar schafft es der Film durch seine zunehmend surrealer werdende Bildsprache, die oft von einer nicht gerade angenehmen Erotik begleitet wird, über die Laufzeit von 125 Minuten (gefühlt: 4 Stunden) ein wenig an Energie dazuzugewinnen, irritiert aber trotzdem durchgängig mit dem mehr als gemächlichen Tempo der Figuren-Bewegungen. Dieser Umstand kommt vor allem deshalb schade, da die Hintergründe, in denen die Charaktere umherschleichen, wundervoll detailreich und mit schöner Farbsetzung animiert wurden.

    So bleibt mit „No. 7 Cherry Lane“ ein zweifelsohne außergewöhnliches Werk übrig, das allein für seinen Einfallsreichtum und den politischen Symbolismus beim ein oder anderen Zuschauer auf Lob stoßen wird. Der Rest des Publikums wird hingegen alleinig von der nahezu lächerlich entschleunigten Animationstechnik, derer sich Regisseur Yonfan hier bediente, so sehr abgeschreckt sein, dass man sich überhaupt nur schwer auf das Gesamtwerk einlassen können wird.

    Schlussendlich hat man hier einen Film, der glaubt ein großes politisches Statement ausgestattet mit surrealistischen Bildern zu sein, hinter seinen absurden Einfällen aber wenig mehr zu bieten hat, als heiße Luft, künstlerisches Umhertreiben und schlicht: pure Langeweile.
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    (Christian Pogatetz)
    22.10.2019
    07:19 Uhr