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    Classical Emmerich: solide Action, ideologische Schwächen

    Exklusiv für Uncut
    Krieg eignet sich leider hervorragend für die große Kinoleinwand. Einerseits erzeugen kriegerische Elemente wie Verfolgungsjagden und Schüsse die Möglichkeit, die Dynamik des Mediums Film zu nutzen, andererseits bieten existenzielle Momente im Ringen um Leben und Tod genug Stoff, um den für einen Film notwendigen emotional-identifikatorischen Kern zu kreieren. Der Stuttgarter Roland Emmerich hat sich neben Katastrophenfilmen mehr oder weniger diesem Genre verschrieben und mit Kriegen gegen Aliens/Monster („Independence Day“, „Godzilla“), dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg („Der Patriot“) oder dem paramilitärischen Mikrokrieg („White House Down“) bereits einige Schlachten verfilmt. 2019 schließlich widmete er sich seinem Herzensthema: einem Film über die Schlacht von Midway, der den Namen besagter Inselgruppe nordwestlich von Hawaii trägt.

    Emmerich entfaltet eine Reise in die Vergangenheit über ein halbes Jahr der wichtigsten Ereignisse des Pazifikkrieges. Beginnend am 07.12.1941 beim Angriff auf Pearl Harbor, dem wir bereits in Michael Bays überaus tendenziösem gleichnamigen Film beiwohnen durften, und endend am 05.06.1942 in der Schlacht von Midway umfasst der Film auch die weniger populären Kampfhandlungen bei den Marshallinseln und im Korallenmeer sowie den sogenannten Doolittle Raid (ein Überraschungsangriff auf Tokio im April 1942). Mehr oder weniger hauptsächlich folgen wir Fliegerlieutenant „Dick“ Best (Ed Skrein), der sich umgeben von einer Menge weiterer Offiziere (solider Cast: Woody Harrelson, Patrick Wilson, Dennis Quaid, Luke Evans) im Kriegsgetümmel behaupten muss. Eine tiefgründige Charakterstudie suchen wir dabei vergebens, weshalb es bis auf die Eckpunkte der Kriegsereignisse und der Spannung zwischen der USA und Japan keine wirkliche Handlung gibt. Die Spannung ergibt sich aus klassischen Motiven: numerischer Vorteil in der Truppenstärke (Japan) vs. Starker Kampfgeist (USA).

    Aufgrund der langen im Film abgebildeten Zeitspanne wirkt das Drehbuch weniger konsistent als episodenhaft und das tut dem Film gut, da die Charaktere äußerst schablonenhaft gezeichnet wurden. Nahezu austauschbar sind alle Figuren auf Emmerichs Schachbrett, was aber im Angesicht eines Blockbusters nicht sonderlich verwundert. Die schwachen Schattierungen und Dialoge geraten etwas in den Hintergrund. Dadurch mangelt es dem Film aber an einem emotionalen Kern; die Identifikationsfiguren bleiben durchwegs kühl und militärisch distanziert. Fehl am Platz sind die weiblichen Rollen, die im Rahmen des zeitgemäßen Patriarchats lediglich als stereotypische Ehefrauen dargestellt werden, deren einzige Lebensaufgabe die Fürsorge um ihren Mann ist. Wir werden die Uhr nicht zurückdrehen und die Situation vor 80 Jahren entspricht großteils der auf der Leinwand. Ob uns jedoch weiterhin diese Bilder eingepresst werden müssen, ist zumindest mal fraglich. An anderen Stellen wird die historische Genauigkeit auch nicht so ernst genommen.

    Was fällt bei „Midway“ als Erstes auf? Die unsäglich miesen Spezialeffekte! Wir merken schnell, dass es hier fast keine realen Settings gibt, keine Liebe zum Detail, teilweise kein Szenenbild, keine Ausstattung. Nein, der Cast steht beinahe ausnahmslos vor einem Greenscreen. Hier ist nichts echt oder authentisch und bewirkt den Eindruck, dass wir uns in einem Videospiel befinden. Das wirkt nur nicht faul, das ist auch faul und bedauerlicherweise ein Symptom des modernen Blockbusterkinos. Neben dieser Plastizität übertreibt Emmerich es mit Bildsättigung und Bildsprache. Heroisch, pathetisch, patriotisch. Mit diesen Worten lassen sich die Bilder gut beschreiben und das ist aus technischer Sicht zunächst kein Problem.

    Bei näherem Blick allerdings eröffnet sich die dem Kriegsfilm übliche Einseitigkeit, der sich auch Emmerich nicht verwehren kann. Er versucht sich zwar an einer Multiperspektivität, indem die japanische Seite einen signifikanten Anteil Screentime bekommt und durch einige Figuren in den Film findet, diese Personen sind aber nur drehbuchbedingte Notwendigkeiten, um die strategischen Kriegshandlungen voranzutreiben. Auf die Spitze getrieben wird dieser Schein dadurch, dass es sogar für die asiatische Vermarktung des Films separate Plakate gab, auf denen anstatt Dennis Quaid zwei weitere japanische Offiziere abgebildet sind. Ein Schelm, wer hier Böses denkt, wenn die japanische Perspektive nur aufgrund des ökonomischen Mehrwerts etabliert wird. Dass Kriegsverbrechen nur gegen US-Soldaten geschehen sind, kann ebenfalls stark angezweifelt werden. Emmerich täuscht eine Differenzierung vor, die einseitigen Bilder suggerieren das Gegenteil.

    Nichtsdestotrotz ist „Midway“ auf der oberflächlichen Ebene unterhaltsam und kurzweilig. Gekonnt werden die Action- und Schlachtszenen inszeniert, die bekannten Stilmittel insbesondere bei den Flugsequenzen ausgereizt und Emmerich beweist abermals sein Geschick als solider Action-Regisseur. Auch historisch können wir dem Film einiges abgewinnen und einen gewissen Lerneffekt nicht absprechen. Inspiration für weitere Recherche über einen aus europäischer Sicht weniger bekannten Teil des Zweiten Weltkriegs bietet der Film allemal.

    Fazit: Zum Schluss schenkt uns Emmerich ganze 9 Minuten Abspann, die man sich getrost ersparen kann. Viel zum Nachdenken gibt es nicht. Doch neben all den dramaturgischen (Drehbuch, Charakterzeichnung) und ideologischen Schwächen (Frauenbild, Einseitigkeit) liefert der Film durch stilsichere Action und historische Spannung einen Mehrwert. Emmerich nutzt die Dynamik des Kinos einwandfrei, verzettelt sich aber zunehmend im Handlungsspannungsfeld zwischen Patriotismus, historischer Genauigkeit und wenig emotionalisierten Figuren. Dass sich Krieg auch in diesem Film für das Kino anbietet, steht außer Frage, aber Emmerich schafft es nicht, die üblichen Schwächen dieses Genres auszumerzen.
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    (André Masannek)
    04.06.2022
    07:34 Uhr
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