Filmkritik zu Nevrland

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  • Bewertung

    Panic at the Disco

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Der Jungregisseur Gregor Schmidinger ist bisher nur für seine Kurzfilme bekannt. Sein Langspielfilm-Debüt ist ein mysteriöser Coming-Of-Age-Film über einen Jugendlichen, der unter Angstattacken leidet.

    Für die Rolle des Jakob wurde ein kompletter Neuling gecastet. Simon Frühwirth stand vor „Nevrland“ noch nie vor der Kamera, gibt aber ein erstaunliches Schauspieldebüt ab, für das er auf der Diagonale auch als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. Wortkarg, aber mit intensivem Blick spielt er den 17-jährigen Jakob, dessen Angstattacken häufig zu Blackouts führen und seinen eigenen Körper für ihn zum Feind machen. Um seinem Körper zu entkommen, flüchtet er sich gerne in virtuelle Welten, wie etwa einem schwulen Sex-Cam-Chat. Dort lernt er Kristjan kennen. Nach dem Tod seines Großvaters, der ihm eine wichtige Bezugsperson war, entschließt er sich, Kristjan in der echten Welt zu treffen. Ein Treffen, das den Film zum eskalieren bringt...

    Schmidinger bezeichnet „Nevrland“ als post gay. Obwohl der Protagonist schwul ist, stellt seine Sexualität keinen Konflikt dar. Der zentrale Konflikt ist stets Jakobs Angststörung – eine psychische Erkrankung, unter der auch der Regisseur selbst litt. Um dem Zuschauer näherzubringen, wie sich das anfühlt, lässt er ihn fast selbst eine durchmachen. Der ganze Film ist gespickt von kleineren Traumsequenzen, die Vorbote sind für das, was uns Schmidinger am Ende antut: eine etwa 15-minütige surreale Montage, die visuell absichtlich überstrapaziert und emotional verstört. Leider lässt diese auch viel Raum für Interpretation, was natürlich beabsichtig ist, aber bestimmt nicht jedermanns Sache. Ich persönlich konnte gar nicht damit umgehen, nach einem so intensiven Trip in die Abgründe einer angstgestörten Seele einfach so aus dem Kinosaal entlassen zu werden. Das Ende ist zwar mehr als unüblich für das Coming-Of-Age-Genre, jedoch ist es visuell wirklich sehr stark umgesetzt und definitiv auch sehr wirkungsvoll.

    Eine der häufigsten Motive im Film ist Körperlichkeit. Körper sind in „Nevrland“ durch virtuelle Realitäten fast unnahbar geworden und reagieren sehr sensibel auf Berührung und Intimität. Schmidinger selbst hat es mit Hilfe von Techno geschafft, sich seinem eigenen Körper wieder anzunähern und spürbar zu machen. Daher nimmt elektronische Musik auch im Film eine zentrale Rolle ein. Teile des Films spielen in Wiener Technoclubs und auch für den Soundtrack ist kein Unbekannter verantwortlich: Gerald VDH, Gründer des Meat Market, einer schwulen Veranstaltungsreihe der Wiener Technoszene. Seine Dark Techno-Klänge tragen viel zur Atmosphäre von „Nevrland“ bei.

    „Nevrland“ ist eine visuell packende, filmische Erfahrung, die körperlich und emotional durchlebt wird, aber dabei nicht unbedingt gefallen will.
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    (Marina Ortner)
    25.03.2019
    00:08 Uhr
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