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  • Bewertung

    Weichgespültes Moraldrama

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2019
    In ihrem neuesten Film, „The Kindness of Strangers“, beobachtet die dänische Regisseurin Lone Scherfig eine Reihe von vom Schicksal gebeutelten New Yorkern, die sich, obwohl einander völlig fremd, gegenseitig mit ein bisschen Mitgefühl bei ihren Problemen helfen. Scherfig, die bereits mit „An Education“ und „Zwei an einem Tag“ von sich reden machte, versucht sich an einem einfühlsamen Märchenstück, das aber aufgrund seiner seichten Aufarbeitung realer Probleme oft unfreiwillig zynisch und lachhaft wirkt.

    Im Zentrum dieses Hilfsbereitschaftsreigen steht Clara (Zoe Kazan), die mit ihren beiden Kindern vor dem gewalttätigen Ehemann nach New York City geflohen ist. Nachdem der von seinem Polizistensohn ehrfürchtige Schwiegervater ihr nicht helfen will, beginnt für die drei eine Odyssee durch New York, in der sie nachts in ihrem Auto schlafen und tagsüber aus Restaurants Hors d’Oeuvre klauen. In solch einem Restaurant arbeitet auch Marc (Tahar Rahim), ein Exsträfling als Manager. Er nimmt sich unter den verständnisvollen Augen seines Chefes Timofey (Bill Nighy) der Gruppe an. Gleichzeitig begleitet er seinen Freund und Anwalt John Peter (Jay Baruchel) regelmäßig zur Selbsthilfegruppe von Alice (Andrea Riseborough), einer mit ihrer Berufung hadernden Krankenschwester. Diese wiederum rettet nicht nur den beruflich ungeschicken Jeff (Caleb Landry Jones) von der Straße, sondern wird auch zur wichtigen Verbündeten für Clara, als ihr Ehemann nach ihr zu suchen beginnt.

    Die Bedeutung einer kleinen Geste und wie sie sich auf das Leben anderer auswirken kann ist die Grundthematik, die sich durch den Film zieht. Doch im Endeffekt sind die Wellen, die diese Handlungen schlagen um einiges größer als der Stein des Auslösers. Die Entwicklung der einzelnen Schicksale oszilliert somit in Sphären, die weder realistisch noch passend erscheinen. Die zufällige Verbundenheit der Figuren im Rahmen der Handlung ist eine Voraussetzung der Geschichte an sich, aber dass Obdachlosigkeit, Gewalt in der Familie oder die Berufstätigkeit nach der Haft dermaßen leicht vom Tisch gewischt werden wirkt etwas zynisch.

    Es hilft auch nicht, dass das Skript gelegentlich in überspitzte Klischees verfällt und zähneknirschende Dialoge feilbietet. Wenn Claras Sohn sie anfleht sie solle in einem Moment geistiger Ohnmacht ihre Augen nicht geschlossen lassen oder Marc attackiert er solle seine Mutter nicht anrühren, dann wirkt das weniger rührend, sondern eher als künstliches Dramatisierungsmittel in einem weichgespülten Sozialdrama. Die Darsteller wirken zudem alle etwas unterkühlt, emotionale Bindungen zu den Figuren funktioniert rein über den gelegentlichen Scherz.

    Optisch hingegen kann der Film mit schönen, satten Bildern punkten sowie mit dem Fokus auf einem New York, das nicht unbedingt regelmäßig auf den Bildschirmen auftaucht. Das Empire State Building ist nur aus der Ferne sichtbar, die Gassen und Häuser zeugen weniger von der üblichen Schickeria als Kulisse, sondern von einem geerdeten alltäglicheren New York.

    Der Film mag vielleicht jene vorübergehend abholen, die sich auf der Leinwand wiedererkennen, ist aber im Endeffekt zu illusionistisch und unfreiwillig banal, um wirklich ernst genommen werden zu können. Eine Moral der Geschichte, die weniger in Extremen hätte agieren sollen.
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    (Susanne Gottlieb)
    07.02.2019
    20:44 Uhr
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