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    Klassisches Künstler-Biopic trifft auf Feel-Good-Musical mit fantastischem Einschlag

    Exklusiv für Uncut
    Seit dem letztjährigen Sensationserfolg von „Bohemian Rhapsody“ ist die Nachfrage nach Musiker-Biografien in Hollywood wieder enorm gestiegen. Nachdem also dem einstigen Queen-Frontmann Freddie Mercury schon letztes Jahr ein eigener Kinofilm gewidmet worden war, ist nun als nächstes niemand geringeres als die britische Pop-Rock-Ikone Sir Elton John an der Reihe. Unter dem Titel „Rocketman“ widmet sich Filmemacher Dexter Fletcher, der wohlgemerkt nach dem Rauswurf Bryan Singers bereits bei Teilen von „Bohemian Rhapsody“ die Regie übernommen hatte, dem extravaganten Leben und Schaffen der 72-jährigen Musiker-Legende.

    Unter seinem Geburtsnamen Reginald Dwight wuchs John (in jungen Jahren: Kit Connor, als Erwachsener: Taron Egerton) als eher zurückhaltendes und schüchternes Kind in der britischen Kleinstadt Pinner auf. Schon in jungen Jahren entdeckte er die Liebe zur Musik für sich und wurde für sein ersichtliches Talent bereits mit gerade einmal elf Jahren an der renommierten Royal Academy of Music aufgenommen. In Folge seines Schulabschlusses zog es ihm nach London, wo er anfing gemeinsame Sache mit dem Songwriter Bernie Tauplin (Jamie Bell) zu machen. Da er seinen Taufnamen „Reginald Dwight“ als nicht sonderlich ansprechend empfand, entschloss er sich dazu, sich den Künstlernamen „Elton John“ zu geben. Und siehe da: schon bald durfte der Ausnahmekünstler erste Erfolge feiern und stieg Schritt für Schritt zu einer der wichtigsten Figuren der britischen Musikindustrie auf. Auf dem Weg hin zum schillernden Superstar kamen jedoch auch zahlreiche Exzesse und persönliche Tragödien nicht zu kurz.


    Im Gegensatz zu „Bohemian Rhapsody“, der für sein schablonenhaft aufgebautes und nahezu parodistisch anmutendes Narrativ zurecht massiv an Kritik seitens der Presse einstecken musste, umgeht Dexter Fletcher hier geschickt viele herkömmliche Probleme des klassischen Biopics und lässt seinen Film auf unterschiedlichen Zeitebenen abspielen. So ist „Rocketman“ nicht nur daran bemüht die Höhepunkte seines Protagonisten wie einen visualisierten Wikipedia-Artikel nachzuerzählen, sondern verwandelt dessen Leben – im Sinne des echten Elton John – in ein extravagantes und quietschbuntes Jukebox-Musical. Populäre Songs des Künstlers werden in diesem Film nicht nur wahllos aneinandergereiht um auf die Nostalgie-Drüse der Zuschauer zu drücken, sondern dienen dazu – wie in einem Musical auch üblich – den Plot auf Vordermann zu bringen und das innere Gefühlsleben Johns mithilfe elegant choreographierter Tanz- und Gesangssequenzen (besonders einprägsam: die stimmungsvolle Verwendung des Hit-Songs „Saturday“ und die einfühlsame Verwertung der Pop-Ballade „Your Song“) zu visualisieren. Wenn denn nun John im Film in seine eigene Gedankenwelt abtaucht, driften die Musical-Szenen für Momente gar in fantastische Gefilde ab. In der Sequenz, in der Johns titelgebender Evergreen „Rocketman“ zu hören ist, lässt Fletcher somit seinen Protagonisten in wahrsten Sinne des Wortes vom Boden abheben. Zwar resultiert das streckenweise in Bildkompositionen, die in ihrer Stilisierung künstlich daherkommen können, durch den Überwältigungseffekt, der die Musical-Momente im Film auszeichnet, aber weitestgehend kaschiert werden können.

    Schlussendlich ist es aber eine Person, die den schwierigen Spagat zwischen Charakter-Drama und Fantasy-Musical bravourös zusammenhält: Hauptdarsteller Taron Egerton. Egerton, der sich bereits mit seiner Hauptrolle in den beiden „Kingsman“-Filmen in die Herzen zahlreicher Zuschauer gespielt haben dürfte, brilliert in seiner Darstellung des Elton John. Nicht nur hat Egerton sämtliche Songs für den Film selbst eingesungen und performt, sondern ihm gelingt es zusätzlich sowohl die schrille Bühnenpersona des Künstlers als auch dessen private, verletzliche Ader auf den Punkt zu spielen. Schauspielerisch stechen zudem noch Jamie Bell („Billy Elliott“, „Skin“) als Johns Songwriter und treuer Wegbegleiter Bernie Tauplin wie auch Richard Madden („Game of Thrones“, „Cinderella“) als dessen hinterlistiger Ex-Manager und Liebhaber John Reid aus dem Cast heraus.

    Lobend sei auch noch zu erwähnen, dass der Film anders als „Bohemian Rhapsody“ die Homosexualität seines Protagonisten nicht verschleiert, sondern dessen 'queer identity' auf vollste zelebriert. Dank eines wohlverdienten R-Ratings (bei uns das Pendant zum FSK16 oder 18) werden zudem dessen lebhaftes Sexualleben und die Drogen-Exzesse unbeschönigt und rau veranschaulicht.

    Gänzlich ohne Probleme kommt das biographische Musical dann aber auch nicht aus. Leider gerät der Film ausgerechnet, wenn er sich auf das menschliche Drama konzentrieren möchte, ab und an in altbewährte Genre-Muster, was dazu führt, dass besonders die Charakterisierungen der Nebencharaktere oft einseitig und stumpf geraten sind. Besonders für die Darstellung von Johns Eltern (gespielt von Bryce Dallas Howard und Steven Mackintosh) wurde augenscheinlich tief in den Klischeetopf gegriffen. Ebenso könnte man es durchaus kritisieren, wenn denn nun zum Beispiel im Abspann obligatorisch das soziale Engagement des noch lebendigen Musikers hervorgehoben werden muss. Da aber die Darstellung Johns abseits dessen überraschend ambivalent ausgefallen ist, lässt einem die abschließende Selbstbeweihräucherung des Künstlers nicht zu sauer aufstoßen.

    Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass „Rocketman“ zwar narrativ an manchen Stellen etwas mehr Feinschliff benötigt hätte, jedoch als Musiker-Biopic einiges richtig macht und weitestgehend Störfaktoren des Genres geschickt zu vermeiden versucht. Herausgekommen ist hier eine gelungene Mixtur aus Charakter-zentrierter Filmbiographie und fantasievollem Gute-Laune-Musical, das die Songs des Ausnahmekünstlers auf kreative Weise passend zum Einsatz bringt.

    Ein Film, der dem extravaganten Paradiesvogelimage Elton Johns absolut gerecht wird und dessen beachtliches Lebenswerk eindrucksvoll auf die große Leinwand überträgt!
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    (Christian Pogatetz)
    29.05.2019
    11:52 Uhr