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    Tarantinos melancholische Ode ans Hollywood der 60er-Jahre

    Exklusiv für Uncut
    Wir schreiben das Jahr 1991. Einem aufstrebenden Jungfilmemacher namens Quentin Jerome Tarantino, der zuvor noch als wandelndes Filmlexikon in einer Videothek gearbeitet hatte, wird die Ehre zuteil, sein Spielfilmdebüt „Reservoir Dogs“, ein kammerspielartiges Heist-Movie, beim renommierten Sundance-Filmfestival uraufführen zu lassen. Der Rest ist wohl Geschichte. Spätestens seitdem der bekennende Fußfetischist dann 1994 mit seinem vielzitierten Kult-Meisterwerk „Pulp Fiction“ maßgeblich das Independentkino veränderte, gilt Tarantino als einer der wohl angesehensten und einflussreichsten Regisseure der Moderne. Seit Anfang der 2000er-Jahre drehte der exzentrische Filmemacher mit Werken wie „Kill Bill“, „Inglourious Basterds“, „Django Unchained“ oder zuletzt erst „The Hateful Eight“ in erster Linie hochstilisierte Rachefantasien gepaart mit meist comichaft überzeichneter Gewaltdarstellungen, die mittlerweile zu einem seiner signifikantesten Erkennungsmittel geworden sind.

    Als Tarantino vor wenigen Jahren bekanntgab, nach 10 Filmen (in der Rechnung des Filmemachers zählen „Kill Vol 1 & 2“ als ein einziger Film) seine Karriere als Regisseur an den Nagel zu hängen, zeigten sich viele Cineasten schockiert. Man fing an herumzurätseln, wie der Großmeister sich denn vom Filmgeschäft verabschieden würde. Wird der Gewaltspezialist - wie angekündigt - tatsächlich noch einen „Star Trek“-Film inszenieren? Oder wird vielleicht endlich die lange gemunkelte „Kill Bill“-Fortsetzung in die Tat umgesetzt werden? Vorerst tischt uns der mittlerweile 56-jährige Filmemacher mit „Once Upon A Time in Hollywood“ jedenfalls mal seinen neunten und vorletzten (?) Spielfilm auf, der dem Regisseur sinnbildlich durchaus auch als Finalwerk dienen hätte können.

    Inspiriert von realen Ereignissen und Personen, entführt uns Tarantino ins Hollywood im Jahre 1969 und setzt den Fokus dabei auf den in die Jahre gekommenen TV-Western-Helden Rick Dalton (Leonardo Dicaprio) sowie dessen Stunt-Double und besten Freund Cliff Booth (Brad Pitt). Während Rick seinen ruhmreichen Tagen als Fernsehstar nachtrauert, ist der Kriegsveteran Cliff wegen fiesen Gerüchten auf seinen Job angewiesen und verweilt den Rest des Tages gemeinsam mit seinem Hund in einem Wohnwagen. Ungefähr zur selben Zeit zieht im Nebenhaus Rick Daltons niemand geringeres als Shooting-Star Sharon Tate (Margot Robbie) mit ihrem Ehemann, dem angesehenen Filmemacher Roman Polanski, ein. Die schillernde Fassade der Traumfabrik scheint aber nicht mehr lange anzuhalten. Aus der Ferne bahnt sich bereits Böses an: die berüchtigte Manson-Familie hat sich nämlich in einer einstigen Westernkulissenstadt eingenistet.

    Eines vorweg: Tarantinos neuester Streich hebt sich vom Aufbau her stark von seinen letzten Werken ab. Wer sich hier – wie es manche mittlerweile bei Filmen des Regisseurs gewohnt sein dürften - eine reine Gewaltorgie in klassischer 3-Akt-Struktur erwartet, wird potentiell enttäuscht den Kinosaal verlassen. Den Großteil der Laufzeit über handelt es sich bei „Once Upon a Time in Hollywood“ nämlich vielmehr um einen Zeitkapselfilm, eine filmische Momentaufnahme, bei der wir über einen gewissen Zeitraum hinweg just unsere Protagonisten bei ihrem Alltag begleiten, ohne dass der Film sich dabei klassischer Story-Konventionen hingibt. Die sonst aufgebauschten Gewaltexzesse werden auf ein Minimum reduziert, um den Charakteren und den Zuschauern mehr Freiraum zu geben, sich in der detailreichen Welt des Films zu verlieren. So hat Tarantino hiermit zwar sein bis Dato vermutlich nischigstes Werk geschaffen, nichtsdestotrotz aber gleichzeitig auch eines seiner absolut besten (und diese Worte kommen von einem eingesessenen Fan des Regisseurs).

    Was für viele Leute besonders überraschend sein dürfte, ist wie vergleichsweise reif der neunte Spielfilm des exzentrischen Regisseurs daherkommt. Anstatt sich wie sonst auf den möglichen Kultfaktor zitierwürdiger Lines und comichaft überzogene Gewaltausbrüche zu berufen, bleibt Tarantinos neuestes Werk weitestgehend in überraschendem Realismus verankert. Mithilfe eines unglaublich detailverliebten Set- und Kostüm-Designs, an dessen Pracht man sich nur schwer sattsehen kann, gelingt es dem Regisseur, das Los Angeles der 60er-Jahre authentisch wiederaufleben zu lassen. Und so geleitet uns Tarantino schwerelos von einer aberwitzigen Situation in die nächste während das Geschehen von einem gewohnt fetzigen Soundtrack untermalt wird. Selbst wenn sich durch den bewussten Verzicht auf einen klassischen Story-Aufbau nicht immer ein wirklicher Erzählfluss ergibt und das Ganze streckenweise gar einen episodenhaften Eindruck erwecken kann, kommt zu keinem Punkt Langeweile auf. Dabei kann der Film an vielen Stellen – wenn denn nun beispielsweise ein hochamüsanter Kampf zwischen Brad Pitts Charakter Cliff Booth und einer überzeichneten Version von Bruce Lee veranschaulicht wird – köstlich unterhalten - in anderen Szenen aber auch mit einer unerwarteten Prise Melancholie aufwarten. Tarantino setzt uns hier nämlich keine Reißbrett-Karikaturen als Charaktere vor, sondern komplex ausgearbeitete Figuren mit Ecken und Kanten, die wir in ihren Höhen wie auch Tiefen erleben dürfen.

    Wie man es von Tarantino als begeisterten Filmfanatiker gewohnt ist, ist auch dessen neuestes Werk gespickt mit unzähligen Referenzen, bei denen vielen Cineasten das Wasser im Mund zusammenlaufen wird. Zusätzlich scheint der Regisseur hier aber auch noch intelligent über sein eigenes Schaffen sowie der eigenen Position innerhalb der sich laufend verändernden Mechanismen der Traumfabrik zu reflektieren. Man sehnt sich in vergangene, vermeintlich bessere Zeiten zurück, muss aber früher oder später der bitteren Wahrheit ins Auge sehen, dass früher nicht wirklich ‚alles besser‘ war, sondern man selbst einfach irgendwann seinen Zenit erreicht hat.

    Ein weiteres großes Plus des Films ist der feinfühlige Umgang mit der in Wirklichkeit tragischen Figur der Sharon Tate, die von Margot Robbie einfühlsam und voller Charisma dargestellt wird. Tarantinos Version von Tate verkörpert hier die juvenile Unschuld und Neugierde einer neuen Generation Hollywoods, die völlig im Kontrast zu den sinisteren Machenschaften steht, die sich langsam am Rande der Traumfabrik abzeichnen. Besonders einprägsam: eine Szene, in der wir Robbies Interpretation von Tate dabei begleiteten, wie sie sich zusammen mit normalem Publikum eine Produktion im Kino anschaut, bei der sie selbst mitgespielt hat und Tarantino dadurch die Unvergänglichkeit des Mediums Film hervorhebt.

    Unterdessen beweist Oscar-Preisträger Leonardo DiCaprio einmal mehr seine Vielseitigkeit als Schauspieler und sorgt mit seinen absichtlichen Over-Acting als verkommener Western-Star szenenweise für große Lacher, schafft es aber genauso in den verletzlichen Momenten seiner Figur zu brillieren. Überraschenderweise wird hier aber selbst DiCaprio von einem Brad Pitt überragt, den man wohl selten in einer solchen Höchstform erleben durfte. Pitt zeigt sich in der Rolle des an sich liebenswerten Stuntman Cliff Booth, dem aber dennoch einige Laster nachhängen, als überraschend subtiler Charakterdarsteller mit breitem Facettenreichtum. Ergänzt wird der Cast von namhaften Schauspielern wie Al Pacino, Bruce Dern, Emile Hirsch oder dem kürzlich verstorbenen Luke Perry, deren relativ kurze Szenen jedoch eher wie Cameo-Auftritte daherkommen. Besonderes Lob gebührt aber noch Margaret Qualley, die eine der Hippie-Anhängerinnen der Manson Family verkörpert und in einem der stärksten Momente, dessen zugrunde liegende Spannung schon beinahe der eines Horrorfilms gleicht, mit ihrer alleinigen Präsenz den Film einnimmt.

    Der Titel des Films rührt nicht irgendwoher. Auch wenn Tarantinos neuester Geniestreich die meiste Zeit über an Realismus bemüht ist, wird dem Film im letzten Drittel zusätzlich ein märchenhafter Charakter verliehen und mündet in einer der wohl ehrlich emotionalsten und ungewöhnlich zärtlichsten Einstellungen in der langen Karriere des Ausnahmeregisseurs.

    So lässt sich am Ende des Tages sagen, dass Quentin Tarantino mit „Once Upon a Time in Hollywood“ ein zugleich hochamüsanter wie auch nostalgisch schöner Ausflug ins Hollywood einer längst vergangenen Epoche gelungen ist, der einen begleitet von einem detailgetreuen Szenenbild und wunderschönen sonnengetränkten Aufnahmen sehr leicht in seinen Bann ziehen kann.

    Ein unerwartet reifes und selbstreflexives Werk, das selbst im sonst schon beachtlichen Oeuvre des Filmemachers herausstechen kann und durch den melancholischen Abgesang auf die Traumfabrik passenderweise auch dessen finales Magnum Opus hätte sein können!

    Disclaimer: Vor Sichtung des Films sollte man zumindest grob mit den Taten der Manson-Familie vertraut sein, da hier ein gewissen Grundwissen vorausgesetzt wird.
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    (Christian Pogatetz)
    11.08.2019
    22:25 Uhr