Filmkritik zu Weldi - Dear Son

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Solange ich kann, trage ich deine Stille auf und in meinen Schultern, Vater.

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Da ist ein Vater (Mohamed Dhrif), der alles tut für seinen Sohn (Zakaria Ben Ayed). Dessen Leben dieser Sohn ist, wie er selbst sagt. Der ihm den Kopf hält, wenn er sich übergeben muss, der im Auto auf ihn wartet, wenn er abends weggeht. Der aber gleichzeitig unfähig ist, mit ihm zu sprechen, zu zeigen, was in ihm vorgeht, wie wichtig ihm der Sohn ist. Der einen Freund, mit dem er einen Kaffee trinkt, während er abends auf den Sohn wartet, erfinden muss, um den Sohn seine Fürsorge nicht übertrieben merken zu lassen. Der dem Sohn gleichzeitig aufzwingt, so zu sein wie der sprachlose Vater, Bindeglied zwischen ihm und der Mutter (Mouna Mejri). Und dabei gar nicht bemerkt, was er in diesem Sohn anrichtet. Bis der plötzlich weg ist. In Syrien. Und sich der Vater auf die Suche nach ihm macht.

    An dieser Stelle ist es, wo der Film für mich gekippt ist. Zart und fein erzählt vorher die Ambivalenz zwischen Fürsorge, Sorge und Unfähigkeit, sich dem, den man liebt, gegenüber zu öffnen. Die Sorgen um das Geld und die Zukunft, die bevorstehende Pension. Der Arbeitsalltag des Vaters, der am Hafen große Containerkräne bedient, wo einem vom mit dem Vater durch die Glasscheibe Hinunterschauen als Zusehendem schwindelig wird. Der Arbeitsalltag, den er unter Kontrolle hat, wo er stark ist. Die Freundschaft zur Kollegin (Imen Chérif), bei der er eher er selbst sein kann als zu Hause, wo er seine Schwächen zeigen kann, die ihm sogar Beziehungstipps gibt. Das fragile Gleichgewicht der Familie, in dem jedes Mitglied seine Rolle zu erfüllen hat. Vater und Sohn, die die Straße entlanggehen, beide mit hängenden Schultern, beide gleich langsam, der eine ein Abziehbild des anderen.

    Zu abrupt für mich dann der Aufbruch und alles, was danach kommt. Sehr viel wird noch in diesem Film erzählt, und die Geschichte verliert dabei an Genauigkeit und Glaubwürdigkeit, will vielleicht aber auch gar nicht zu genau und glaubwürdig sein.
    Der Vater, vorher so bedacht, niemanden zu verletzen, setzt sich über die Panik seiner Frau, auch ihn zu verlieren, hinweg und fährt dem Sohn nach, ist auf der Reise für die Frau nicht erreichbar, will über die Türkei die Grenze nach Syrien überqueren. Wunderschöne Bilder in den Straßen von Istanbul, in denen er alleine herumirrt, sich in der Einsamkeit und Ohnmacht verliert, aus der ihn nichts herausholen kann. Nicht einmal die Hochzeitsgesellschaft, die ihn in ihre große Fröhlichkeit hineinziehen will. Aber auch hier bleibt die Handlung noch nicht stehen.

    Als Studie über einen Vater, der nicht aus seiner Isoliertheit und Rolle ausbrechen kann, hätte mir dieser zweite Langfilm vom Regisseur Mohamed Ben Attia nach Hedi, für den er 2016 bei der Berlinale den Preis für das beste Erstlingswerk bekam, sehr gefallen, aber bei den vielen Themen, die er angeschnitten hat, hat für mich etwas gefehlt, um ihn ganz zu machen.
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    (Irene Hetzenauer)
    12.11.2018
    11:17 Uhr