Filmkritik zu Das blutrote Kleid

Bilder: Koch Films Fotos: Koch Films
  • Bewertung

    Vergnüglicher Horror-Shoppingtrip

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Wenn ein Regisseur nach zehn Jahren im Ausland in seinen Heimatort zurückkehrt, wie kann er diesen Schock, das alles plötzlich so fremd und exotisch wirkt adäquat verarbeiten? Im Fall des britischen Regisseurs Peter Strickland schickt er ein rotes Kleid auf eine übernatürliche Mördertour. Das Resultat ist der durchgestylte Spaß „In Fabric“, ein Werk im Geiste der italienischen Giallos.

    Thematisch irgendwo zwischen „Suspiria“ und der britischen Kaufhauscomedy „Are you being served?“ angesiedelt, folgt die Handlung einem teuflisch roten Kleid, dass seine mörderischen Tricks mit jedem spielt, der es einmal angezogen hat. Ursprünglich auf sechs Geschichten im Stil eines Haunted House ausgelegt, musste sich Strickland finanziell jedoch auf zwei begrenzen. Zunächst scheint es noch als wäre Sheila (Marianne Jean-Baptiste) die Hauptfigur, als die das Kleid vorab eines Dates erwirbt. Die aggressiven, hypnotischen 70/80er-Stil-Werbeeinblendungen im Fernsehen und die übernatürliche Atmosphäre des Kaufhauses setzen in typischer Strickland Manier bereits die ersten Horrorakzente. Stil und Konsum wird hier auf die Spitze getrieben, Farben zelebriert, Ton und Texturen gehuldigt bis alles in einem abstrusen Fetisch mündet.

    Wenn man bedenkt mit welch verliebtem Blick Strickland das rote Kleid, die Formen der Schaufensterpuppen oder die roten Nägel der mysteriösen Verkäuferin in Szene setzt, nur um im nächsten Moment auf aufgebrachte Kaufwütige umzuschwenken und sie sich sogar im Schauraum prügeln lässt, ist es fast banal dass er mit diesem Film keine Konsumentenkritik im Kopf hatte. So ist Sheila auch kein schurkisches Konsumopfer, sondern eine einsame Angestellte, die sich täglich mit ihren passiv-aggressiven Bossen (Steve Oram und Julian Barratt) sowie ihren gleichgültigen Sohn (Jaygann Ayeh) und dessen respektloser Freunding (Gwendoline Christie) herumschlagen muss. Eigentlich fühlt man als Zuschauer mit der Frau, doch gegeben der Ausgangsprämisse ist klar, dass Sheila mit dem Tragen dieses diabolischen Kleides ihr Todesurteil unterschrieben hat. Auf bizarre Weise ist es sogar unterhaltsam zu beobachten, wie das frei herumschwebende Kleid immer wieder gefährliche Situationen initiiert und das Ende ihrer Trägerin Minute um Minute näher rückt.

    Strickland konzentriert sich dabei nicht auf die klassischen übernatürlichen Horrorfilmelemente wie der logischen Erklärung warum das Kleid verwunschen ist und ob alle Kleidungsstücke in dem mysteriösen Laden ähnliches bewirken. Die eingestickte Botschaft „Die, die mich tragen werden mich kennen“ mag zwar wie ein Hinweis wirken, aber wohin er führt bleibt offen. Die Verkäuferin, dargestellt von seiner regulären Kollaborateurin Fatma Mohamed, mag zwar ein inniges Verhältnis zu Schaufensterpuppen haben, unter der Perücke kahlköpfig sein, in seltsamen Syntaxen sprechen, und sich weigern das verwunschene Kleid zurückzunehmen, aber in direkte Verbindung mit den Unfällen wird sie auch nicht gebracht. Doch das ist nicht wichtig und das Kleid noch lange nicht mit seinem Mördertrip fertig.

    Aufgegabelt als Bräutigam in spe Outfit für einen Junggesellenabschied kommt das Kleid als nächstes in den Besitz von Reg Speaks (Leo Bill) und seiner Verlobten Babs (Hayley Squires). Reg, ein Waschmaschinen-Mechaniker spitzt die Figurenzeichnung sogar noch weiter zu, da Strickland mit ihm einen klassischen verklemmten britischen Pantoffelhelden von nebenan geschaffen hat, der von seiner lauten egozentrischen Verlobten in den Schatten gestellt wird. Herr der Lage wird er nur, wenn er in Techspeak über den Zustand der Waschmaschinen zu referieren beginnt, ein orgasmusähnliches Erlebnis für jeden Zuhörer.

    Wie auch in Sheilas Geschichte spielt Strickland hier mit den Horrorelementen, die er immer wieder neckisch einflicht, aber auf die er nie ganz eingeht. Viele Fragen bleiben auch bis zum Schluss unbeantwortet. Welche Rolle spielen die Verkäuferinnen, warum sind die Puppen anatomisch korrekt mit Vaginas ausgestattet, ist Konsum einfach nur ein Liebesakt mit Materialismus und was ist die Motivation des Kleides. Doch konkrete Antworten hat der Film gar nicht nötig. Er lebt von seinem grellen Look, den überzeichneten Charakteren und seinem scharfen Sinn für Humor. Wer danach noch mit ruhigem Gewissen einkaufen möchte, der sei herzlich dazu eingeladen.
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    (Susanne Gottlieb)
    06.11.2018
    18:30 Uhr
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