Filmkritik zu Classical Period

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  • Bewertung

    Classical Period – unästhetisches Kino

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Die äußerliche Ähnlichkeit des Protagonisten Cal, gespielt von Calvin Engime, mit Michael Stuhlbargs Figur - Prof. Perlman - in „Call Me by Your Name“ hört leider hier auf. Obwohl sich Cal in seinem Fach der Expertise, der italienischen Literatur des 14. Jahrhunderts, gut auskennt und über andere intellektuelle Themenbereiche philosophieren kann, fehlt ihm die soziale Komponente von Prof. Perlman, die ihn allumfassend sympathisch macht, zur Gänze. Er tritt dadurch nicht wie Mr. Perlman als Meister des Intellekts und der „dolce vita“ auf, sondern wirkt eher wie eine Wissensmaschine, die mehr oder wenig interessante Anekdoten in sich sammelt und bei Zeiten von sich geben kann.

    Der ästhetische Stil des 62-minütigen Films folgt einer ähnlich unausgeschmückten Linie. Bereits der Nebel, der sich wie ein Schleier über die 16mm-Bilder legt, vermittelt eine Unreinheit, die sich im Ton fortsetzt. Die Szenen, die auf der Straße spielen, werden vom Verkehrslärm förmlich verschluckt. Nichts wird verschönert, nichts wird ausgebessert, alles ist so wie es ist. ‚Tote Zeiten‘ (temps morts) werden nicht durch ‚schöne‘ Bilder aufgelöst, sondern lassen den Film erstarren. Die langen ‚fun‘ stories - für Fakten eindeutig zu ausführlich, die Anekdoten aus verschiedenen Wissenschaften erzählen, tragen noch weiter zur Entschleunigung bei. Sie stellen quasi die Machtspiele innerhalb des Intellektuellenkreises dar, der sich mit der englischen Übersetzung von Dante Alighieris „Divina Commedia“ von Henry Longfellow aus dem Jahre 1864 beschäftigt. Die Dreifaltigkeit der hohen Künste wird noch durch philosophische Überlegungen und theoretische Auslegungen der klassischen Musik und des Theaters vervollständigt.

    Auch die Dialoge wirken theorisiert, einstudiert, trocken und emotionslos – mit einigen wenigen Ausnahmen, die die Regel nur noch mehr unterstreichen. Darunter befindet sich auch der einsame Lichtblick einer tatsächlich lustigen Anekdote über Frank Lloyd Wrights undichte Flachdachexperimente. Durch die vielen Geschichten und Zitate entstehen fragmentierte Sequenzen, die keinen durchgehenden Erzählstrang erkennbar machen.

    Die Kameraführung trägt ihr Übriges zur Starre bei. Mit einer nicht enden wollenden Unbeweglichkeit beobachtet die Kamera die Protagonisten aus einer neutralen, aber nahen Perspektive, die keine Identifizierung mit den Figuren erlaubt. Nur in wenigen Momenten scheint die Kamera spielerisch die Bewegungen der Intellektuellen zu antizipieren und ihnen einen Sprung voraus zu sein.

    Somit richtet sich dieser Film weniger an die Liebhaber des bewegten Bildes als an die Wissenschaftler des geschriebenen Wortes. Wer jedoch auf der Suche nach der „Divina Commedia“ in Dantes eigener Sprache ist, wird enttäuscht werden. Es wird nur an einer Stelle eine Zeile auf Italienisch erwähnt. Als Vorwort für den Film gilt nämlich das Motto, dass eine Übersetzung nicht formal UND inhaltlich dem Original treu bleiben kann, sondern auch für sich selbst ein literarisches Werk in der jeweiligen Sprache darstellt.