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    Der Mond geht auf im Auge des Aras

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Schwarzer Insektenlärm, die Geräusche des Nachtwalds. Ein halber nackter Oberkörper, beschnitten. Sichtbar bis knapp unters Auge. Eine Brust hebt und senkt sich, der Atem fliegt. Mitten im Wald. Dunkles Grünblau. Ijhãc ist auf dem Weg. Er folgt der Stimme seines Vaters durch die dichten Bäume zum Wasserfall.

    Mit wenigen Bildern und Geräuschen wird die Bedrohlichkeit des Nachtwalds spürbar, die Geister, die in ihm versteckt sein können. Er verschlingt, lässt einen untergehen, zieht hinein in seine Tiefen. Er saugt einen auf. Ijhãcs Panik überträgt sich auf den Zusehenden, wird vorstellbar, nachvollziehbar.

    Im scharfen Gegensatz dazu steht das helle Dorf als die Sonne aufgeht. Alltagsbilder, die Kinder hängen an den nackten Brüsten der Frauen, die sie säugen, oder werden an den Hüften mitgetragen. Die Dächer müssen frisch mit Wedeln gedeckt werden. Es ist die Aufgabe von Ijhãc und seiner Frau Kôtô. Sie haben nur eine Machete, die schlecht schneidet.

    Aber Ijhãc war im Nachtwald, vergisst das Wasser, das sie bei der schweren Arbeit benötigen. Die Stimme seines Vaters hat ihn gebeten, dessen Totenmahl vorzubereiten, mit ihm in das schwarze Wasser zu steigen. Es dauert bis Ijhãc das sogar seiner Frau erzählen kann, denn dass er die Toten hören kann, bedeutet seinen Einstieg in die Welt der Schamanen und er sträubt sich gegen und fürchtet sich vor dieser Rolle in der Dorfgemeinschaft. Er tut alles, um dem Ara, dem Vogel, der ihn mit seinem Krächzen und dem starren Auge verfolgt, zu entkommen, geht sogar in die Stadt deswegen, weg von Frau und Kind.

    Nur ist der Stadt genau so gleichgültig, was aus dem indigenen Ijhãc wird, wie es ihr gleichgültig ist, was mit dem abgelegenen Krahô-Dorf Pedra Branca, aus dem er stammt, passiert.

    Als er sich endlich wieder nach Hause aufmacht, wandert er neben der Straße, dunkle Nacht, die Stadt im Hintergrund. Es braust ein riesiger Truck an ihm vorbei, blendet uns vor der Leinwand, dass es wehtut in den Augen. Daneben steigt der Mond langsam auf, riesig, Millimeter für Millimeter. Wird Ijhãcs Mond auf- oder untergehen?
    Das Regieteam Renée Nader Messora und João Salaviza hat einen poetisch-schönen Film geschaffen, der das Leben im indigenen Dorf und in der Stadt darstellt, das gemeinschaftliche Arbeiten, die Zeremonien, den Alltag, die Geisterwelt, die Grenzen und Schwierigkeiten, das Wunderbare, das Unverständliche, das Natürliche. Das alles vor dem Hintergrund einer Landschaft, die dem Zusehenden den Atem nimmt. Dass der Film 2018 bei den Festspielen in Cannes den „Un Certain Regard“-Jurypreis gewonnen hat, verwundert nicht.
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    (Irene Hetzenauer)
    10.11.2018
    22:57 Uhr