Filmkritik zu Suspiria

Bilder: Polyfilm, Amazon Studios Fotos: Polyfilm, Amazon Studios
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    Die Rückkehr der drei Mütter

    Exklusiv für Uncut von der ViENNALE
    Seit den 1970er-Jahren gilt Dario Argento als Meister des „Giallo“, einem italienischen Filmgenre, das durch seine spezielle Filmästhetik definiert wird. Sein wohl bekanntestes Werk ist „Suspiria“ aus dem Jahr 1977, welches im Laufe der Zeit eine große Anhängerschaft unter Filmliebhabern nach sich zog. Luca Guadagnino, der im vergangenen Jahr für „Call Me by Your Name“ großes Lob in Kritikerkreisen bekam, sicherte sich bereits vor über zehn Jahren die Filmrechte an einer Neuverfilmung des Stoffes. Nun erfolgte die Umsetzung, die aufgrund einer ansprechenden Inszenierung und eines neu gewählten Fokus auch gelingt.

    Die Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) kommt nach Berlin, um an einem Vortanzen an der Marcos Dance Academy teilzunehmen. Sie wird aufgenommen und in Folge dessen unter anderem von Madame Blanc (Tilda Swinton) unterrichtet, deren größter Erfolg „Volk“ die nächste Vorführung darstellen soll, mit Susie in der Hauptrolle. Währenddessen ereignen sich in der Tanzakademie merkwürdige Zwischenfälle: Patricia (Chloë Grace Moretz), eine der Tänzerinnen, ist verschwunden, wenig später auch Olga (Elena Fokina). Susies Freundin Sara (Mia Goth) begibt sich auf die Suche nach den Hintergründen und bekommt Unterstützung durch den mysteriösen Dr. Klemperer (abermals Swinton), der wiederum mit Geistern seiner Vergangenheit zu kämpfen hat. Für die Mädchen stellen sich bald folgende Fragen: Was geht in der Tanzakademie vor sich? Und was hat die Geschichte um die „drei Mütter“ damit zu tun?

    „All is well, as long as we keep spinning“: Gleich zu Beginn erklingt das Lied von Thom Yorke und führt uns ein, in die mysteriöse Welt von „Suspiria“. Schon Argento legte viel Wert auf die Verwendung von Musik, statt der Progressive-Rockband Goblin lieferte bei Guadagninos Version nun der Radiohead-Sänger den Soundtrack. Dies erscheint nicht nur zeitgemäß, sondern auch sehr passend im Hinblick auf den melancholischen Unterton der Handlung.

    Aber nicht nur die Musik ist neu, auch die verstärkte Konzentration auf den Tanz ist etwas, was Guadagnino der Vorlage hinzufügt, der nun eine wesentliche Rolle einnimmt, gar als eigener Charakter betrachtet werden kann. Die Tanzeinlagen sind wirklich toll inszeniert, wenn man „Volk“ betrachtet oder andere Szenen, in denen mit ekstatischen oder knackenden Körpern gespielt wird. Die Tänze schaffen immer wieder die Verbindung zwischen der Erzählung und Realität und werden in diesem Sinne zu übermenschlichen Verbindungsgliedern. Sie sind die Adern des Films, die alles durchdringen, um auch hier eine körperliche Analogie zu verwenden, wie im Film, wenn Madame Blanc Susie fragt, welcher Körperteil der Tanzgruppe sie sein wolle und sie lediglich antwortet: Die Hände.

    Wenn man „Suspiria“ betrachtet, fallen einem natürlich die Verwendung von Farben und die tollen Settings auf – auch das ist ein Kennzeichen von Argento, welches Guadagnino übernommen hat, allerdings hat er dabei einen eigenständigen Stil entwickelt. Die visuelle Gestaltung, die Kameraführung und der Ton geleiten uns durch Szenen der Musik, des Tanzes und der Gewalt. Alles wirkt, wie aus einem Traum, in der eine magische Komponente, aber auch eine zerstörerische Macht zum Ausdruck gebracht wird.

    Tilda Swinton ist in „Suspiria“ in einer Doppelrolle zu sehen: neben Madame Blanc stellt sie auch Dr. Klemperer dar, einen alten Greis, der die Geschehnisse an der Akademie untersucht. Guadagnino verschwieg dies zunächst und lockte das Publikum auf eine falsche Fährte, indem er eine fiktive Biografie für Lutz Ebersdorf erstellte, der im Abspann als Darsteller genannt wurde. Swinton jedenfalls bewies einmal mehr, dass sie zu den beeindruckensten Schauspielerinnen ihrer Generation gehört, indem sie innerhalb eines Filmes zwei so unterschiedliche Charaktere darstellt. Aber auch Dakota Johnson überzeugt als Susie Bannion, deren originale Darstellerin Jessica Harper ebenfalls einen Gastauftritt hat.

    Die Handlung erscheint möglicherweise auf den ersten Blick verwirrend, gerade wenn man mit der Original-Trilogie – denn Argentos „Suspiria“ folgten noch „Inferno“ und „La terza madre“ - um die drei Mütter nicht vertraut ist: Die Hintergrundgeschichte um Mater Suspirum, Mater Tenebrarum und Mater Lachrymarum wird in Guadagninos Aufarbeitung des Stoffes nur angerissen, allerdings nie wirklich erklärt.

    Aber gerade der eigenständige Zugang zu dem von Dario Argento vorgegebenen Motiv macht die Neuverfilmung von „Suspiria“ so besonders. Manche Erweiterung hätte man zwar geflissentlich weglassen können – so z.B. die Einbringung von soziopolitischen Themen wie Aktionen der RAF, Verweise auf Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg oder der Amisch-Hintergrund von Susie. Streckenweise langatmig, handelt es sich alles in allem aber auf jeden Fall um ein Filmerlebnis der besonderen Art. Mit einem furiosen Finale, das man so schnell nicht vergisst.