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    Welcome to Boredom

    Exklusiv für Uncut
    Unter dem Titel „Marwencol“ erschien im Jahre 2012 ein vielfach gepriesener Dokumentarfilm, der sich der einzigartigen Arbeit von Mark Hogencamp widmete. Hogencamp wurde Anfang des neuen Millenniums Opfer eines gewalttätigen Übergriffs, nachdem er einer Gruppe Männer vor einer Bar erzählte, dass er Cross-Dresser sei. Dabei wurde er beinahe zu Tode geprügelt und lag in Folge über mehrere Tage hinweg im Koma. Da Hogencamp durch den Vorfall massiven Hirnschaden erlitt, verlor er einige Erinnerungen an seine Vergangenheit. Obwohl Mark sich keine Therapie leisten konnte, fand er einen einzigartigen Weg, der ihm dazu verhalf, das Trauma in den Griff zu bekommen: In seinem Garten erbaute er nämlich die Miniaturversion einer belgischen Stadt aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die von ihm „Marwencol“ getauft wurde. Darin platzierte er Puppen, die ihn selbst, sein soziales Umfeld und gar seine Angreifer repräsentieren sollten. Inspiriert von eben dieser Dokumentation hat Regisseur Robert Zemeckis, der sich einst für hochpopuläre Filmklassiker wie „Zurück in die Zukunft“ (1985) oder „Forrest Gump“ (1994) verantwortlich zeichnete, nun das Spielfilm-Drama „Willkommen in Marwen“ gedreht. Steve Carell verkörpert darin eine fiktionalisierte Version von Mark Hogencamp.

    Auf Papier klingt die Grundgeschichte nach der perfekten Blaupause für eine vielversprechende Charakterstudie, der man bestimmt einiges an Konfliktpotenzial und emotionaler Tiefe entnehmen hätte können. Nach Sehen des Films kann man jedoch leider nachvollziehen, weshalb der Streifen an den US-amerikanischen Kinokassen schon übelst floppte und bisher nicht einmal ein Drittel seines Budgets hatte einspielen können: Zemeckis hat hier nämlich ein ungeheuerlich verkalkuliertes und nur so vor Pathos triefendes Machwerk abgeliefert, das sich nicht darüber im Klaren ist, was es überhaupt sein möchte.

    Woran es dem Film am meisten fehlt ist ein strikter Fokus. Das Drehbuch bewegt sich stets zwischen dem realen Drama Hogencamps und der fantastischen Ebene, den Geschehnissen in der Miniaturstadt der Puppen, hin und her, ohne, dass diese zwei Ebenen je organisch ineinander übergehen. Besonders ärgerlich sind dabei die computeranimierten Sequenzen in Marwencol, die zwar durchaus für das gelungene Handwerk zu loben sind, durch peinlichst offensichtliche Metaphern, die sich für weit cleverer halten als sie schlussendlich sind, und allgemein fragwürdige Entscheidungen szenenweise jedoch sogar unfreiwillige Komik kreieren. Diane Krüger ist in den fantastischen Momenten des Films beispielsweise als fotorealistisch animierte Puppe mit lächerlich gekünsteltem Akzent zu sehen, bei der es sich um eine belgische Hexe (?), die das Dorf heimsucht handeln soll. Gleichzeitig verkörpert ihre Figur auch einen essentiellen Teil des Heilungsprozesses Marks, der dem Zuschauer in einem unglaublich banalen Twist offenbart wird. Eine jede kleinste Metapher oder Allegorie, sei sie noch so offensichtlich, wird ausgesprochen und durch Exposition dem Zuschauer, der hier augenscheinlich für dumm verkauft wird, erklärt. Ebenfalls erbärmlich ist eine an den Haaren herbeigezogene Referenz an ein anders Werk Zemeckis', in die der dritte Akt mündet und die im Kontext völlig deplatziert wirkt.

    Jedoch auch die reale Ebene des Films, auf der sich das menschliche Drama abspielen sollte, weiß nur bedingt zu funktionieren. Die wohl größte Stärke ist dabei das bravouröse Spiel von Steve Carrell in der Hauptrolle, der nach bereits ernsten Rollen in „Foxcatcher“ oder zuletzt erst in „Beautiful Boy“ einmal mehr beachtlichen Facettenreichtum als Darsteller zur Schau stellt und durch raue Emotion in einigen Momenten sogar die fehlende Tiefe des Drehbuchs kaschieren kann. Leider schafft es das Drama jedoch nie wirklich in die Psyche seines Protagonisten einzudringen und versteift sich stattdessen meistens auf übelst manipulativen Kitsch.

    Die romantische Geschichte mit Leslie Mann wirkt zu aufgesetzt, das psychologische Drama der Hauptfigur bleibt weitestgehend unerforscht und die Geschehnisse innerhalb der Miniaturstadt sind zu albern und befremdlich, um wirklich Ernst genommen werden zu können. „Willkommen in Marwen“ hätte mit dem Talent, das sich hier vor und hinter der Kamera versammelt hat, zu einem absoluten Homerun werden können, verschenkt sein gesamtes Potenzial aber trotz eines groß aufspielenden Steve Carells und teils interessanter visueller Spielereien an ein verkalkuliertes Melodram, das sich zu keinem Zeitpunkt wirklich rund anfühlt. Herr Zemeckis, das können Sie um einiges besser!
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    (Christian Pogatetz)
    18.03.2019
    17:11 Uhr