Filmkritik zu Chaos im Netz

Bilder: The Walt Disney Company Fotos: The Walt Disney Company
  • Bewertung

    Disneys Meta-Komödie in Fortsetzungs-Mogelpackung

    Exklusiv für Uncut
    Vor wenigen Jahren veröffentlichten die Walt Disney Animation Studios den bis Dato vermutlich ungewöhnlichsten Kinofilm der Marke. War Disney zuvor noch meistens darauf bedacht eigene Filmwelten zu kreieren, griff das Studio für das 2012 erschienene Animationsabenteuer „Wreck-it Ralph“ (Dt: „Ralph Reichts“) erstmals tief in den Topf fremder Popkultur. Das Animationsabenteuer widmete sich dem Videospiel-Bösewicht Ralph, der seine Tage als verschmähter Widersacher hinter sich lassen möchte und sich dazu entschließt, sein Spiel zu verlassen. Da die Handlung des ersten Teils innerhalb einer Videospiel-Arkade angesetzt ist, waren plötzlich zahlreiche Charakter der Videospiel-Geschichte von Sonic über Super Mario bis hin zu Q-Bert in einem Disney-Film zu sehen. Das ungewöhnliche Konzept ging auf: „Wreck it Ralph“ stieß für seinen Charme und sämtliche kreative Einfälle auf weltweiten Zuspruch und konnte gar eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester Animationsfilm“ kassieren. In der nun erscheinenden Fortsetzung, die im deutschsprachigen aus welchen Gründen auch immer den Titel „Chaos im Netz“ erhalten hat (OT: „Ralph Breaks the Internet“) begeben sich die beiden Protagonisten von ihrer Videospielhalle aus in die unendlichen Weiten des Internets.

    Durch einen von Ralph verursachten Vorfall geht die Steuerung des Arkaden-Spiels „Sugar Rush“, in dem dessen beste Freundin Vanellope beheimatet ist, kaputt und es soll dem Automaten demnächst der Stecker gezogen werden. Um zu verhindern, dass das aufgewecke Mädchen ihr Zuhause verliert, taucht Ralph gemeinsam mit Vanellope via dem neu-installierten W-Lan-Router in der Videospielhalle ins Internet ein, um dort das notwendige Ersatzteil für den Automaten zu ergattern. Da das Ersatzteil auf der Internetplattform e-Bay jedoch mehrere Tausende Dollar kostet, müssen sich die beiden quer durch die Weiten des World Wide Web bewegen, um die benötigte Geldsumme einzusammeln.

    Auf Papier mag das Ganze wie eine uninspirierte Möglichkeit klingen, um so viele große Markennamen wie nur möglich in einem Film unterzubringen, und vom Konzept her lässt das Ganze gar an filmische Albträume à la „The Emoji Movie“ erinnern. Tatsächlich ist „Ralph Breaks the Internet“ aber zu einer hochunterhaltsamen wie auch durchaus smarten Animationskomödie geworden.

    Wer sich jedoch eine reine Weitererzählung der Handlungsstränge des ersten Teils erwartet, wird vermutlich enttäuscht das Kino verlassen. Vielmehr handelt es sich bei „Ralph Breaks the Internet“ nämlich um eine überraschend intelligente Reflexion auf die allgegenwärtige Vernetzung der Welt sowie sogar auch auf das eigene Schaffenswerk Disneys.

    Im Gegensatz zu ähnlichen Vertretern scheinen Regisseure Phil Johnston und Rich Moore hier absolut zu verstehen, wie die moderne Online-Welt funktioniert und stellen diese auf visueller Ebene als quietschbunte und bis ins kleinste Detail mit Informationen ausgestattete Plattform, die keine Grenzen kennt, dar. Man hätte den einfachen Weg gehen und just nach und nach große Internetseiten abklappern können, aber stattdessen entschied man sich dazu, einzelne Websites und Internetfunktionen in kreative Szenarien zu verpacken. So werden Pop-Up-Fenster beispielsweise in Form von nervigen Verkäufern, die einem penetrant etwas andrehen wollen, oder das Dark-Net als schäbiger Platz voller zwielichtiger Personen dargestellt. Man verspürt zu jeder Sekunde, dass sich die Macher unendlich viel Mühe gegeben haben, um die Reizüberflutung des Internets durch visuell einfallsreiche Konzepte, die auch passend in den Plot involviert werden, wiederzugeben. In einer Szene schafft es der Film gar das toxische Verhalten, das heutzutage zahlreiche Leute in Kommentarleisten sozialer Medien an den Tag legen, zu kritisieren und zu zeigen, wie durch dieses einzelne Personen gekränkt werden können.

    Die unterhaltsamsten Momente des Films sind aber tatsächlich die Szenen, in denen Disney selbsironisch mit seinem eigenem Dasein herumspielt. Da eine gesamte Schlüssel-Szene innerhalb einer Disney-Fanseite stattfindet, wurde hier sehr viel Potenzial geboten, um auf einer Metaebene die eigene Marke zu parodieren. Der Gipfel der selbsreferentiellen Witze wird dann erreicht, als Vanellope einen Raum betritt, in dem sämtliche Disney-Prinzessinnen vorzufinden sind. In der besagten Sequenz gelingt es den Machern jegliche Prinzesinnen-Klischees, die die Marke über die Jahre hinweg etabliert hat, auf unterhaltsame wie auch intelligente Art und Weise durch den Kakao zu ziehen. Zu einem späteren Zeitpunkt im Film bekommen Zuschauer dann auch noch den ersten parodistischen Prinzessinen-Song der Firmengeschichte geboten, der ironischerweise von niemand geringerem als Disney-Altgestein Alan Menken komponiert wurde.


    Aber auch auf einer Story-Ebene weiß der Film gut zu funktionieren. Während der erste Teil noch einen B-Plot hatte, der sich den Charakteren Fix-it-Felix und Sergeant Calhoun widmete, werden diese hier als Randfiguren in den Hintergrund gerückt. Manch Person wird sich an diesem Umstand bestimmt stören, jedoch ist es sehr erfrischend mal einen Hollywood-Film zu sehen, der sich keine vermeidbaren Sideplots aufbürdet. Tatsächlich verzichtet der Film sogar vollends auf einen wirklichen Bösewicht um sich komplett auf die Freundschaft zwischen Ralph und Vanellope zu konzentrieren. Wie bereits im ersten Teil bildet sich der emotionale Kern auch hier wieder aus der Dynamik zwischen den beiden Hauptfiguren, die sogar noch genauer unter die Lupe genommen wird als im Vorgänger. In Form der Beziehung zwischen den beiden vermittelt der Film sogar eine für Familienfilme ungewöhnlich reife Botschaft. Die Fortsetzung ruft in ihrem Grundkern nämlich dazu auf, in engen Freundschaften oder Beziehungen, sich nicht jederzeit obsessiv an das Gegenüber festzuklammern und diesem genügend Freiraum zur Selbstentfaltung zu überlassen.


    So lässt sich am Ende des Tages also sagen, dass aus seinem Konzept, das leicht in plumper Reizüberflutung resultieren hätte können, ein Maximum aus intelligenter und überraschend selbstreferentieller Disney-Unterhaltung rausgeholt werden konnte. Eine ungewöhnliche Fortsetzung, die vermutlich sogar das bereits gelungene Original übertreffen konnte.

    Ab ins Internet!
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    (Christian Pogatetz)
    20.01.2019
    08:05 Uhr