Filmkritik zu Strange Days

Bilder: Kinowelt Fotos: Kinowelt
  • Bewertung

    Verstörend nah an der Realität!

    Eldritch Advice
    Kathryn Bigelow ist eine der wenige Regisseurinnen die auf dem Olymp Hollywoods residieren. 2009 gewann sie für „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ als erste und bis dato einzige Frau einen Academy Award für „Beste Regie“, doch ihr Weg an die Spitze war ein steiniger und das obwohl sie durch ihre frühere Ehe mit James Cameron über einen mächtigen Fürsprecher verfügte. Mehrere Male musste sie ihr Talent unter Beweis stellen um überhaupt wahrgenommen zu werden und wenn ein Film nicht die gewünschte Einnahmen lukrierte, fing sie, ungeachtet der Qualität ihres Werks, wieder bei Null an. So etwa erging es ihr 1995 nach der Veröffentlichung von „Strange Days“, als dieser trotz guter Kritiken an den Kinokassen floppte.

    Das fiktive Los Angeles des Jahres 1999 steht am Rande eines Bürgeraufstands. Als zwei Tage vor dem Beginn des neuen Millenniums der berühmte Rapper und Aktivist Jeriko One erschossen aufgefunden worden wird, steht dieses „Pulverfass“ kurz davor entzündet zu werden. Abseits dieser Geschehnisse versuchte der ehemalige Polizist Lenny Nero einfach nur über die Runden und den Verlust seiner Freundin Faith hinweg zu kommen. Dazu dealt er auf dem Schwarzmarkt mit „Squid discs“. Dies sind Aufnahmen von Erinnerungen die es einem ermöglichen für die Dauer eines Clips in das Leben der jeweiligen Person einzutauchen. Doch eines Tages kommt Nero in den Besitz einer Aufzeichnung die sein Leben vollkommen auf den Kopf stellt und ihn zur Zielscheibe macht.

    Ich muss sagen … dieser Film hat nichts an seiner Aktualität verloren.

    „Strange Days“ wurde mit einem Budget von ungefähr 42 Millionen Dollar vor Ort in Los Angeles gedreht. Obwohl als Science-Fiction-Film beworben, beschränkt sich die Genre-Komponente auf die „Squid“ Technologie und präsentiert sich eher als Action-Thriller mit Film-Noir-Elementen. Da Bigelows dystopische Darstellung der Millennium Nacht lediglich fünf Jahre in der (damaligen) Zukunft angesiedelt ist, lässt sich optisch nahezu keine Abänderung zur gängigen Mode oder Architektur dieser Zeit finden. Hie und da sind Charaktere auf Cyberpunk getrimmt worden, aber es wirkt doch alles sehr realitätsnah. Trotzdem gelang es der Regisseurin eine futuristische Atmosphäre zu erzeugen. Um diese zu unterstreichen entschied sie sich für den Soundtrack auf avantgardistische, zumeist europäische, Künstler wie etwa Skunk Anansie zurück zu greifen. Die für einen US-Film eher ungewohnte Musik schafft es den gewünschte Effekt zu erzielen und sticht positiv hervor.

    Trotz einigen durchwegs gelungenen Actionszenen ist dieses Werk primär charakterfokussiert und steht und fällt damit mit der Besetzung. Ein Blick auf den Cast zeigt, dass „Strange Days“ somit auf guten Beinen steht, schließlich konnte man mit Ralph Fiennes einen der weltweit besten Schauspieler für die Rolle des Protagonisten Lenny Nero gewinnen. Fiennes trägt viel dazu bei, dass dieser Charakter funktioniert. Ihm gelingt es dem eher schmierigen Nero eine menschliche Tiefe zu verleihen die es dem Publikum ermöglicht Sympathie und Mitleid für ihn zu empfinden; eine klassische Figur des Film Noir! Identifikationsfigur ist er jedoch keine. Diese Rolle nimmt seine beste Freundin und „Schutzengel“ Mace ein; eine Rolle in der Angela Basset ihr Talent eindrucksvoll unter Beweis stellt. In einem sehenswerten Ensemble, das unter anderem Stars wie Juliette Lewis, Vincent D'Onofrio und William Fichtner beinhaltet, verdient es sich eine positive Erwähnung diese zu überstrahlen.

    Ist dieser Film eines freitäglichen Filmabends würdig?

    „Strange Days“ war ein kommerzieller Misserfolg und das Wieso ist klar ersichtlich: Der Diskurs von gesellschaftlichen Problemen wie Rassismus und Gewalt gegen Frauen in einem rund 145 Minuten langen und 42 Millionen Dollar teuren dystopischen Tech-Noir Film ist kein massentaugliches Machwerk für die große Leinwand, ein Fakt den auch bereits beide Blade Runner Filme 1982 sowie 2017 leidvoll feststellen mussten. Schade, denn es handelt sich hierbei um einen tollen Film. Abseits der grandiosen Besetzung, gelang es Kathryn Bigelow mehrere Story-Stränge erfolgreich miteinander zu verknüpfen und die erwähnten gesellschaftlichen Themen auf eine Art und Weise zu inkludieren, die nicht belehrend wirkt, sondern dem Plot dient. Dadurch wirkt der Film trotz seiner Lauflänge sehr kurzweilig. Manchmal sogar etwas zu kurzweilig, denn mitunter hat man wegen der zahlreichen Handlungen das Gefühl eine etwa 2 ½ stündige Zusammenfassung einer TV Serie zu bestaunen. Diese ist jedoch so unterhaltsam, dass ich dies nicht als Kritikpunkt betrachte.

    Störend beziehungsweise verstörend ob seiner atmosphärischen Widersprüchlichkeit ist meiner Meinung nach nur das Filmende. Es ist ein Happy End das in dieser Form, insbesondere in Anbetracht der Ereignisse der letzten Szenen, gezwungen und deplatziert wirkt. Für mich hatte es den Anschein als wollte man damit das Mainstreampublikum zufriedenstellen; ein Publikum das aber ohnehin ausblieb. Obwohl fehl am Platz, trübt das Ende den Filmgenuss nur marginal. Sieht man davon ab, dass das Science-Fiction-Element dieses Werks ausschließlich ein „McGuffin“ ist, bekommt man mit „Strange Days“ einen wahrhaft guten Film geboten der eines freitäglichen Filmabends würdig ist!

    Habt ihr Interesse an Horror und Trashfilmen sowie anderer cineastischer Kleinodien, empfehle ich euch meinen englischsprachigen YouTube Channel zu besuchen. Dort bespreche ich mindestens einmal wöchentlich ein Filmjuwel aus meiner Sammlung:
    https://goo.gl/oYL4qZ
    screenshot_20230313_084016_instagram_41406a0cb9.jpg
    (Thorsten Schimpl)
    29.12.2017
    19:33 Uhr