Filmkritik zu Phaidros

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    Was passiert, wenn die LGBTQ-Nachtclubszene auf Philosophie und Theater trifft?

    Exklusiv für Uncut von der Diagonale
    Es brauchte einige Tage bis ich dieses extravagante Kunstwerk, das mich in eine aufregende sowie stimulierende Welt entführte, richtig verarbeiten konnte. „Phaidros“ ist nicht bloß ein Film, es ist eine Erfahrung der besonderen Art, die auf dem gleichnamigen Werk des griechischen Philosophen Platon basiert, der einen Dialog zwischen Socrates und seinem Freund Phaidros darstellt. Für das Verständnis dieses Filmen ist es allerdings nicht notwendig den „Phaidros“ gelesen zu haben.

    Emil (Julian Sharp) und Werner Maria (Alexander E. Fennon) sind Schauspieler und proben den Dialog zwischen Phaidros und Sokrates auf der Theaterbühne. Die Rolle des Phaidros soll Emil den erhofften Durchbruch bescheren, doch Werner Maria sträubt sich in einer verzerrten Darstellung des Sokrates, dagegen mit ihm auf der Bühne zu kooperieren. Als dieser Konflikt zwischen dem erfahrenen Schauspieler Werner Maria und dem jungen Newcomer Emil eskaliert wird daraufhin ein Kriminalfall; doch wer ist schuld daran?

    In Platons „Phaidros“ geht es um Liebe und Rhetorik sowie darum, dass das eine Wort das andere ergibt. Dieses grundlegende Prinzip des Dialogs fand seinen Weg auch in diese kunstvolle Adaption. Hierbei steht das Theater für die Rhetorik und der LGBTQ-Nachtclub repräsentiert die Liebe. Zur selben Zeit jedoch werden wir Zeuge wie die Rhetorik ein Teil der Untergrund-Szene wird und die Liebe die Rhetorik überwältigt, als Sokrates Emil seine Gefühle für ihn gesteht. Dieses Ineinandergreifen von Stilen ist ein regelrechtes Geschenk für ein aufgeschlossenes Publikum, das die Schönheit einer transzendenten Kunst und einem Expressionismus, der aus dem tiefsten Herzen wahrer Künstler kommt, wertschätzen kann.

    Des Weiteren ist „Phaidros“ zu keinem Zeitpunkt eindimensional, sondern beinhaltet ein breites Spektrum verschiedenster Charaktere, die sich nicht bloß verlieben, sondern auch mit Abweisung umgehen müssen. Emils Mäzen Maurizio (Nicola Filippelli) näht Kostüme und singt zudem für andere Charaktere und das Publikum. In einigen intimen Momenten singt er sogar nur für uns und beweist, dass sich ein Künstler nicht über die Gegenwart oder Abstinenz eines Publikums oder einer Bühne, sondern durch sein Wirken definiert. Hierbei kann Maurizio nicht in die Ungnade etwaiger Zuhörer fallen, selbst wenn er wegen seiner nicht erwiderten Liebe zu Emil seine Kontrolle verliert. Werner Maria indes, trachtet danach das Publikum für sich zu gewinnen und präsentiert sich zu Beginn des Films als ein Charakter der kaum Rücksicht auf andere nimmt. Obwohl er nie damit aufhört eigensinnig zu handeln, so offenbart sich seine fragile Natur als eine Schwäche, die er durch sein Verhalten zu verbergen versucht. Dadurch erlaubt er uns sein Handeln auf einer menschlichen Ebene nachvollziehen zu können.

    Werner Maria zeigt sich nicht in der Lage zwischen Theater und den aufrichtigen Emotionen des Alltags zu unterscheiden; somit beginnen Sokrates und er langsam zu einer Person zu werden. Ähnlich innig verläuft es mit ihm und seiner Lehrerin und Muse Madame Oh, als sie seine Liebhaberin wird. Sie ist eine leidenschaftliche Person, die aber stets nur so weit geht wie ihr gegenüber bereit ist zu gehen. Ein Charakter wie Madame Oh setzt eine Schauspielerin voraus die eine dominante Persönlichkeit mit absolutem Selbstvertrauen darstellen kann, Tamara Mascara gelang dies mit Leichtigkeit.

    Emil ist das absolute Gegenteil von Maria Werner. Er kann zwischen sich selbst und seiner Rolle unterscheiden. Seine Liebe zu Lorelei (May Teodosio) und für das Theater steht in keinem Widerspruch zueinander, es sei denn durch Maria Werners Sabotageakte. In seiner Darstellung als Emil verkörpert der Schauspieler Julian Sharp das Image eines Mannes, der nach außen hin zwar wie ein gefühlskalter Rebell wirkt, aber im innersten, besonders in Momenten in denen er Zweifel verspürt, doch ein großherziger Mensch ist.

    Nun im Detail auf alle interessanten Nebendarstellerinnen und Nebendarsteller einzugehen würde den Rahmen dieser Kritik sprengen. Es ist der Regisseurin Mara Mattuschka zu verdanken mich vor dieses Problem zu stellen, denn ihr gelang es jeder noch so kleine Rolle einen Zweck zu geben, sodass diese gar nicht mehr „klein“ wirken. Die zwei Kriminalbeamtinnen, die an der Aufklärung des Verbrechens arbeiten sind eine willkommene humorvolle Entlastung und den geistreichen Nachtclubbesitzer, sowie all seine Besucher, werde ich wohl nie vergessen.

    Es wäre ein Verbrechen an dieser Stelle die großartige Arbeit an den Kostümen, dem Set Design und Make-Up nicht zu erwähnen. Ebenso grandios wie diese ist die gewollt abnorme Kameraführung. Die übertriebenen Nahaufnahmen und extremen Bildwinkel erzeugen eine atemberaubende Atmosphäre der Eigenartigkeit sowie des Unbehagens.

    Die Regisseurin Mara Mattuschka ist seit Dekaden als Filmemacherin tätig und „Phaidros“ hat mich dazu inspiriert mich vermehrt ihrem Schaffen zu widmen, auch abseits des Films; sie ist eine Performanz-Künstlerin wie auch eine Malerin. Als „Phaidros“ auf der Diagonale aufgeführt wurde, war auch sie zugegen und hat durch ihre wohltuende und witzige Art mit den Fragen des Publikums umzugehen für eine angenehme Atmosphäre gesorgt. „Phaidros“ ist ein Beispiel dafür wieso ich Filmfestivals liebe; sie stecken voller Perlen, die einem im regulären Kinoprogramm zumeist verborgen bleiben.

    Bild von theuncannygirl