Filmkritik zu Genesis

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  • Bewertung

    Die Schmerzen nach dem Terror

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    Betrunkene Rassisten greifen zur Selbstjustiz: sie überfallen eine ungarische Romasiedlung, zünden Häuser an und schießen gezielt auf die aus dem Schlaf aufgeschreckten Menschen. Mehrere kommen dabei um, das jüngste Opfer ist erst 5 Jahre.

    Keine Fiktion, sondern tatsächlich so passiert. Beinahe zehn Jahre sind die Ereignisse nun her die „Genezis“ in Erinnerung ruft. Außerhalb Ungarns sind sie ohnehin nur kurz in den Abendnachrichten oder ein paar Zeitungsartikel aufgeschienen. Denn die Diskriminierungen, denen die Minderheit der Roma und Sinti in unseren Nachbarländern ausgesetzt ist sind bekannt. Machtlos und verschämt blickt man zu Boden und ist froh, wenn man die Zeitungsseite umblättern kann. Wesentlich schmerzhafter und vor allem nachhaltiger ist es, wenn man den Ereignissen ins Auge blicken muss. Wie in diesem Film.

    Árpád Bogdán teilt seine Erzählung in drei große Kapitel in denen jeweils Randfiguren der Geschehnisse in den Fokus rücken: der 9-jährige Ricsi, dessen Mutter beim Anschlag ums Leben kommt; Virág, die nichtsahnende Freundin eines der am Attentat Beteiligten und Hanna, die ungewollt zur Verteidigerin des Angeklagten wird und dadurch in einen moralischen Zwiespalt gerät.

    Der Blick nicht vom, sondern an den Rand der Ereignisse öffnet gänzlich neue Perspektiven- und Gedankenansätze: steht nicht jeder von uns mit einer dieser Ungerechtigkeiten in Verbindung? Wo fängt die Verantwortung des Einzelnen an? Wenn die Ausgegrenzten – wie Ricsis Vater – für Lappalien weit härter gestraft werden, als dies andere würden, nimmt man auch ihren Kindern, der nächsten Generation die Zukunftsperspektive?

    Auch die filmischen Mittel passt Bogdan an seinen Erzählansatz an. Die Kamera ist immer ganz nah an oder hinter der im Zentrum des Kapitel stehenden Figur. Man kommt an ihnen nicht vorbei, die Umwelt sieht man nur bruchstückhaft im Hintergrund. An die extreme Nähe muss man sich erst gewöhnen, aber sie erzeugt eine emotionale Verbundenheit zwischen Zuschauer und Figur. Besonders beim Jungen fällt dies auf: er ist der Welt der Erwachsenen allein schon durch seine Körpergröße fern, aber wir im Kino, sind bei ihm. Alle drei Hauptfiguren versuchen der Last ihrer Gefühle zu entfliehen, was genial über die Tonspur vermittelt wird: Virág, die ein Hörgerät trägt, nimmt dieses einfach raus wenn ihr die Welt zu viel wird und gleichzeitig mit ihr verlieren auch wir den akustischen Kontakt zum Aussen. Der Junge und die Rechtsanwältin machen dasselbe und zwar auf die Art, die wir wohl alle kennen: sie tauchen einfach in der Badewanne unter und lauschen lieber dem Gluckern des Wassers als den Stimmen der Aussenwelt.

    Am Ende sind so manche Umschwünge in den Figuren etwas plötzlich und ihre Entscheidungen wirken etwas...hmm, unrealistisch. Aber im anschließenden Publikumsgespräch erklärt der Regisseur, dass er sich hier erlaubt hat seine naive Hoffnung auf eine besser Zukunft einzubringen. Gut, das lassen wir durchgehen.
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    (Michael Gegenhuber)
    20.02.2018
    07:46 Uhr