Filmkritik zu Sunday's Illness

Bilder: Filmverleih Fotos: Filmverleih
  • Bewertung

    Besser gar nicht als zu spät

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    So ein Filmfestival ist ein bissl wie Running Sushi. Man weiß, dass es unmöglich ist das komplette Angebot zu verkosten, ja dass man nach dem ernstgemeinten Versuch wohl mausetot umfallen würde (wir sprechen hier von 400 Filmen in 10 Tagen). Wie aber nun verhindern, dass man bei der vernunftsmäßigen Selbstbeschränkung das beste Stück vorüberziehen lässt? Oft sinds ja ausgerechnet die äusserlich unscheinbarsten Dinge, die neue Dimensionen eröffnen.

    Es gibt keine Garantie. Auch nach Jahren am Filmbuffet ist es oft der Zufall, der einem das Türl zum Himmel aufmacht.

    Umso glücklicher bin ich, dass ich diesen Film gesehen habe, meinen allerletzten bei der heurigen Berlinale. Fast hätte ich nämlich der inwändigen Erschöpfung nachgegeben und die Karte vorm Zoopalast verschenkt.

    Dass „La Enfermedad de Domingo“ ein aussergewöhnlicher Film ist, merkt man nicht sofort. Es dauert eine Weile bis sich Herz und Hirn auf seinen besonderen Ton einschwingen. Geredet wird nämlich erst einmal nicht viel, beziehungsweise ist das Gesprochene nur ein kleiner Teil der Besonderheit. Was jedoch gleich auffällt, ist das Spiel der beiden Frauen im Zentrum, der herb-kühlen Mutter (Susi Sanchez) und der furiosen, aber undurchschaubaren Tochter (Bárbara Lennie). Andererseits die magische Ausleuchtung der Szenerien, die weit über das technisch nötige hinausgeht. Klar und hell stehen die Figuren einander gegenüber. Da kann sich niemand verstecken. Und in diesem Licht tun sich erst einmal verschiedene kleine Skurrilitäten und Andeutung einer Geschichte.

    Dass diese weit mehr beinhaltet als das was man sieht, deutet die Musik an: dissonante, intensive Streicherklänge, die man eher einem Psychothriller zugeordnet hätte. Soll man mit drastischen Ereignissen rechnen?

    Aber auch wenn der Prolog absolviert ist und die beiden Frauen im abgelegenen Landhaus der Tochter unter sich sind, die Psychologie zwischen den beiden also Fahrt aufnehmen könnte, entwickeln sich die Dinge langsam. Der Zuschauer erfährt nie zuviel um Spannung zu nehmen, aber auch nie zuwenig um sich etwa zu langweilen. Zaghaft nähern sich die beiden an: die mondäne Geschäftsfrau aus der Stadt und die exzentrische Einzelgängerin, geben einander trotz gegenseitigen Misstrauens immer wieder Gelegenheit für den nächsten Schritt. So besäuft sich die Tochter auf dem Dorffest derartig, dass sie ohne die Hilfe der Mutter nicht heimkäme (übrigens Gelegenheit für die grandiose Slapstickszene des Filmes). Aber auf das Entgegenkommen folgen immer wieder Rückzüge. Eine Verletzung wie jene die Chiara als Kind von ihrer Mutter zugefügt wurde, lässt sich eben nicht so mirnixnirnix wegschmusen, schon gar nicht in zehn Tagen.

    Aber eine Gelegenheit zur Wiedergutmachung kommt, soviel trau ich mich noch zu verraten. Und zwar kommt sie in einer Härte die im Kinosaal für Totenstille gesorgt hat.
    Am Ende dieses Filmes braucht mindestens die Länge des Abspannes um das Mischmasch an Glück und Betroffenheit innendrin zu ordnen. Eher mehr.

    „La Enfermedad de Domingo“ ist das beindruckend kunstvoll erzählte Portrait einer späten Mutter-Tochter-Beziehung und erzählt eine radikale Variante Versäumtes wieder gut zu machen. Denn nachholen kann man es nie.

    So etwas Schönes wie diesen Film sieht man nicht oft.
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    (Michael Gegenhuber)
    27.02.2018
    12:12 Uhr