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  • Bewertung

    Tote Diktatoren leben am längsten

    Exklusiv für Uncut
    Da ist er nun also, der Film der den russischen Staat so sehr auf die Palme gebracht hat, dass man sich zwei Tage vor der dortigen Premiere hinreißen hat lassen, die bereits erteilte Vertriebsgenehmigung wieder zurückzuziehen. Offenbar vermutete man hinter der französisch-britischen Produktion einen Versuch Zwietracht im Lande zu säen, um „Russland zu destabilisieren“. Kein Scherz, stand so in der Begründung.

    Aber schönere Vorschusslorbeeren hätte man dem Film wohl gar nicht wünschen können. Dank der Paranoia der russischen Behörden war ihm Medieninteresse gewiss. Und meines auch.

    Worum geht's? Vordergründig genau um das was der Titel verspricht, Stalin stirbt. Endlich. Aber nicht nur das geschundene Volk atmet auf, auch für sein Kabinett ist dieser Tod ein Wendepunkt: fröhlich raufen jene Parteigranden, die Stalin eben noch nach dem Mund geredet haben um seine Nachfolge. Und obwohl man dem Film getrost das Prädikat „Tragikomödie“ umhängen darf, beruht er in groben Zügen tatsächlichen Vorgängen (dass sich Historiker über falsche oder allzu freie Details beschweren, ignoriere ich mal. Das müssen die allein schon berufsbedingt.)

    Um dem Staatsapparat am Höhepunkt des Stalinismus groteske Züge zu verleihen, muss man offenbar nicht viel dazuerfinden. Und so haben die angegrauten Herren die zum Elefantentanz um den freigewordenen Chefsessel aufmarschieren allesamt Namen, die man selbst im Westen des Jahres 2018 noch kennt: Chrustschow, Berija, Molotow, Schukow und auch Stalins versoffener Sohn sowie etwas hysterische Tochter (beide zeitlebens nicht ohne Grund eher von der Öffentlichkeit ferngehalten). Die hat es alle gegeben. Wer auf die Idee gekommen ist den physiognomisch noch am ehesten bekannten Chruschtschow ausgerechnet mit Steve Buscemi zu besetzen, weiß ich nicht. Aber das Wagnis geht auf: der etwas angegraute Zappelphillip gibt den künftigen Staatschef glaubwürdig, auch wenn der Bauch unter seinem Sowjetanzug etwas umgeschnallt wirkt.

    Neben der politischen Realsatire vergisst der Film aber auch nicht die unglaublichen Grausamkeiten des Regimes darzustellen. Besonders der blutrünstige Sadismus von Lawrenti Beria, Stalins Geheimdienstchef, kommt ins Bild. Säuberungsaktionen, Massenverhaftungen, Erschießungen für Nichtigkeiten, die im späten Stalinismus längst zur eingespielten Routine geworden waren.

    Wogegen man übrigens protestieren sollte, das ist die geradezu erbärmliche Synchronisation. Wann hat man sich geeinigt Buscemi immer wieder mit diesem quäkenden Gnomenstimmchen zur Witzfigur zu degradieren? Aber nicht nur die verlorene Authentizität und Atmosphäre vermisst man, auch die Übersetzung der Dialoge ist eine Katastrophe. So wird aus dem herrlichen Satz „Our general secretary is lying in a puddle of indignety“ die flapsige Feststellung der bewusstlose Stalin liege in seiner „eigenen Pisse“. Die Verantwortlichen haben sich einen Nachmittag unterm Watschenbaum verdient.

    Unbedingt erwähnen muss man auch die Musik: perfektes Mimikry des wichtigsten Komponisten der dargestellten Epoche, Dimitri Schostakowitsch, ist gelungen. Der Feinspitz wird vielleicht sogar die einzelnen Symphonien wiedererkennen auf die der Soundtrack anspielt. Meiner Meinung eine gelungene Umsetzung der Grundhaltung des Filmes: Annäherung an eine Zeit ohne vorzugeben das Original zu sein.

    Dass die Vorgänge um das Verbot des Filmes im heutigen Russland sehr an das Schicksal von Schostakowitschs eigenen Werken in der Stalin-Ära erinnern, mag als Beweis dafür gelten, dass der Mensch aus Geschichte praktisch nie lernt. Umso schöner, dass es offenbar einige Kinobetreiber gibt, die sich dem Verbot widersetzten. Respekt!
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    (Michael Gegenhuber)
    21.03.2018
    15:57 Uhr