Filmkritik zu L'Animale

Bilder: Polyfilm, Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion Fotos: Polyfilm, Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion
  • Bewertung

    Das Tier in uns (mit Beißkorb)

    Exklusiv für Uncut von der Berlinale 2018
    In der Provinz aufzuwachsen ist für niemanden ein Zuckerschlecken, aber wer im vorigen Leben besonders wenig gutes Karma zusammengebracht hat, der muss seine Jugend in der Ödnis des nördlichen Niederösterreich verbringen. Wer etwas braver war kriegt immerhin die Chuzpe und die Kraft mit eingepackt sich aus dem Sumpf zu befreien.

    So etwa Mati, die kurz vor ihrem Schulabschluß stehende Hauptfigur des Filmes. Aber hat zu Beginn sie noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Erst einmal sieht sie keinen Grund an ihrem Leben etwas zu ändern und fühlt sich in unter motorradfahrenden Burschen wesentlich wohler als im Kleid für die Matura. Dass sie eigentlich eine Frau ist und kein Bursch, scheint sie selbst kaum zu bemerken und Liebe ist ihr sowieso völlig wurscht, zumindest bis sie der Aussenseiterin Carla begegnet. Das spiesst sich dann allerdings wieder mit den Plänen ihres besten Freundes, der dann doch gern mehr als nur ihr Motorrad- und Saufkumpane wäre.
    Auch Matis Eltern haben es nicht leicht. Aus Angst das filigrane Familienleben samt halbfertigem Einfamilienhaus zum Einsturz zu bringen, spricht die Mutter den Vater nicht auf seine Affären an, der wiederum will sich mit seinen sexuellen Eskapaden nur von einer viel tiefer liegenden Lebenslüge ablenken.
    Und rund um die ratlos ihren Leidenschaften Gegenüberstehenden geht das Provinznest seinen üblichen Alltag: man tut genervt seinen Job, die Jugend knattert durch die Schottergrube, am Wochenende wird getanzt und dazwischen hilft man im familären Betrieb aus, den man dereinst übernehmen wird.

    Wann ist man zu alt für Coming-of-Age-Filme? Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt „Nie!“. Und in der Tat waren es ein paar der beindruckendsten Filme der jüngeren Zeit die mehr oder weniger in dieses Genre gehören. Allen voran „La vie d'Adèle“ und „Margaret“, neuerdings auch speziellere Varianten wie „Grave (RAW)“.
    Und so ist auch „L'Animale“ von Katharina Mückstein sehenswert. Thematisch bringt der Film nicht rasend viel Neues. Aber so ist das nun Mal: Jugendliches Erwachen in der verzopften Welt der Elterngeneration, das ist die Hölle durch die jede Generation aufs neue muß. Da hilfts auch nix, wenn alle anderen davor das schon erlebt haben.
    Und selbst wenn man – wie ich – manches an dem Film ein wenig zu abgedroschen und stereotyp empfindet: allein wegen der atemberaubenden Sophie Stockinger in der Rolle der Mati lohnt sich der Kinobesuch. Ja und dann ist da noch der wunderschöne Schluß. Ich bin zwar das Gefühl nicht losgeworden, dass man eigentlich drei Ideen für das Ende hatte und mangels Entscheidung alle hintereinandergeschnitten hat, aber bewegen tun sie trotzdem.
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    (Michael Gegenhuber)
    20.02.2018
    00:54 Uhr